Die Buchrückenfrage
Katharina S. aus T. hat ein Problem. Wenn sie ein Bücherregal durchsuche, schreibt sie, müsse sie den Kopf regelmässig «von nach-links-geknickt nach nach-rechts-geknickt ändern», um die Titel englischsprachiger Bücher zu lesen: Deutsche Buchrücken seien von unten nach oben, englische aber von oben nach unten beschriftet. Sie wisse nicht, warum das so sei, und wäre froh, wenn die Askforce mit ihrem «legendären Wissen» weiterhelfen könnte.
Da die Askforce selbst ein tolles Buch herausgegeben hat, kennt sie auch einen tollen Buchgestalter, Herrn Stephan Cuber. Und der sagt: «Es gibt ganz offensichtlich keine weltumspannende Instanz, welche die Frage der korrekten, in allen Lebenslagen sinnvollen Leserichtung von Titeln auf Buchrücken regelt.»
Herr Cuber weist auf ein interessantes Phänomen hin: Bei auflagenstarken Titeln, die auf Präsentiertischen mit dem Cover nach oben «meterhoch gestapelt» werden, seien die Buchrücken zuweilen auch hierzulande von oben nach unten angeschrieben. Das leuchtet ein: Sonst stünden die übereinandergeschichteten Buchrückentexte ja alle auf dem Kopf. Damit wäre Ihre Frage eigentlich beantwortet, Frau S.
Aber nun sind wir es, die ein Problem haben: Denn Expert:innen wie wir, denen Buchrücken bisher so lang wie breit waren, schauen jetzt gezwungenermassen ganz anders auf hochgestellte Texte. Und die finden sich überall. Auf den schmalen Flaggen vor Einkaufszentren. Coop, Denner und Migros – alle Namen sind von unten nach oben geschrieben. Mit einer prominenten Ausnahme: Ikea.
Oder im Haushalt: Zahnpastatuben, Lippenstifte und Trinkbidons – alles von unten nach oben. Sogar Bleistifte sind so beschriftet, also von der Spitze her. Was praktisch ist: So lassen sich Marke und Härtegrad bequem während des Schreibens ablesen. Aber Obacht: Für Linkshänderinnen und Linkshänder steht der Text auf dem Kopf. Ausser sie benutzen Linkshänder-Bleistifte. Und die sind – kein Witz – andersherum beschriftet. Und ebenfalls kein Witz: Es gibt sogar Linkshänder-Bleistiftspitzer.
Da es uns selbst ein Rätsel bleibt, wie wir auf diese Spitzer gekommen sind, wundert es uns nicht mehr, dass wir am Ende noch beim Tätowieren landen. Denn nach allem, was wir bis jetzt und nur dank Ihnen, Frau S., erkannt haben, ist eines sonnenklar: Wer sich Text auf den Körper stechen lässt, kommt um die Frage der Schreibrichtung nicht herum. Nehmen wir den Spruch «Ich habe ein Kämpferherz und fühle mich frei wie ein Vogel», den sich ein harter Kerl in einem grossen Bogen über Arme und (rasierte) Brust tätowieren lassen will: Das funktioniert nur, wenn der Text beim rechten Arm aufwärts und beim linken Arm abwärts gestochen wird – und wenn nicht bloss die beiden ersten und die beiden letzten Wörter unter den hochgekrempelten Hemdsärmeln hervorschauen.
Askforce Nr. 1172
31. März 2025