Der Nächste bitte

«Immer wieder lese ich in der Zeitung, der älteste Mensch der Welt sei gestorben. Wie gefährlich ist es, ältester Mensch der Welt zu werden?» Das, lieber Stefan B. aus Bern, müssten Sie eigentlich die ältesten Menschen der Welt fragen, die wüssten das aus eigener Erfahrung sicher am besten – immerhin haben sie Seuchen, Kriege, Ehen, langweilige Jobs, Telefone mit Wählscheiben, Tschernobyl und andere gefährliche Dinge mehr überlebt. Das Problem beim Nachfragen: Die ältesten Menschen der Welt versterben regelmässig. Was die Vermutung nahelegt, dass der Titel «ältester Mensch der Welt» tatsächlich ein zuverlässiger Karrierekiller ist (und sich auch in den seltensten Fällen in Bewerbungsgesprächen gut macht).

Wobei sich auch die zweit-, dritt- und viertältesten Menschen in ihren Schaukelstühlen (meist Geschenke von Regierungsrätinnen und Gemeindeammännern zu ihrem 100. Geburtstag) nicht in Sicherheit wiegen können. Sie werden den Titel, ob sie es wollen oder nicht, erben – und zusammen mit dem Löffel auch wieder abgeben. Ein Wanderpokal, mit lieben Grüssen von Gevatterin Tod.

Stefan B. rührt mit seiner Frage an das schöne Grundparadox unseres Lebens: Älter zu werden, ist die einzige Möglichkeit, nicht zu sterben, gleichzeitig trägt jeder neue Tag die Möglichkeit des vielfältigen Ablebens in sich. Schon die Geburt ist lebensgefährlich, die Kindheit ein einziges russisches Roulette (Finger in Steckdose, Batterien in den Mund, Handstand auf der Schaukel), Pubertät und junges Erwachsenensein sowieso (die Hormone, die Selbstüberschätzung, der Alkohol), und auch in einem durchschnittlichen Mittelland-Einfamilienhäuschen-Zweikinder-Dreiaffären-Dasein lauert der Tod an allen Ecken: ein Nashorn, dem man auf der Hochzeitsreise (seiner eigenen, nicht die des Nashorns) komisch kommt, Sekundenschlaf auf der Autobahn, ein schlecht befestigter Dachziegel, Krebs in all seinen widerlichen Formen.

Das Leben versucht dauernd, uns zu töten. Insofern ist es immer gefährlich, Mensch zu sein. Egal wie alt. Und überhaupt, ist diese Fixierung auf ein rekordhohes Alter nicht einfach eine ungesunde Form der umgekehrten Altersdiskriminierung? Oder sind Sie schon einmal in der Zeitung über die Meldung gestolpert, dass der jüngste Mensch der Welt geboren worden sei? Eben.

Letztlich zählt sowieso nicht eine möglichst grosse Differenz zwischen den zwei Zahlen auf unserem Grabstein. Sondern der Bindestrich dazwischen. Also das, was wir Leben nennen. Und gegen Bezahlung wird unser Tod sowieso in der Zeitung vermeldet. Dazu muss man nicht einmal riskieren, der älteste Mensch zu werden.

Askforce Nr. 1206
3. November 2025