Einerseits möchten wir Schweizer Munition an die Ukraine liefern, denn sie könnte dem Land helfen, den Krieg zu überleben. Anderseits ist die Lieferung von Schwei­zer Munition sehr gefährlich, denn sie könnte jemanden ernsthaft verletzen, was nie­mand wirklich wollen will. – ­Bis hier ist Abwägung einerseits ansatzweise argumen­tativ und anderseits schrecklich scheinheilig: Waffen und Munition werden ja nicht geschaffen und verkauft, um daraus subito Pflugscharen zu schmieden.

Vielleicht ist es die Scheinheiligkeit, über die sich Martin Z. aus Niederscherli so brutal aufregt. Zumindest aber geht ihm der inflationäre Gebrauch von «einerseits» und «anderseits» mächtig auf den Keks*. Seine Meinung: Die billige Einerseits-anderseits-Ausgewogenheit verbreite sich nur deshalb so epidemisch, weil man so nicht klar zu einer eigenen, eindeutigen Meinung stehen müsse – und dadurch weniger angreifbar bleibe. Martin Z. aber greift an, tritt der Einerseits-anderseits-Schwemme entgegen und stellt die Schuldfrage: «Wer hat damit angefangen?»

Diese klare Frage beantworten wir gerne. Aber wie so oft sind die Anfänge eher harmloser Natur. Am Anfang stehen die Brüder Einar und Anders Seitz. Unter­schiedlicher hätten die in einer schwedisch-deutschen Familie Grossgezogenen nicht sein können. Einer­seits pflegte sich Einar Seitz stets in den Vordergrund zu drängen («Einar wird gewinnen!»), anderseits bezog Anders Seitz mit durchaus vergleich­ba­rer Impertinenz zu allem und jedem die Gegenposition («Anders machts anders!»). Man kann sich leicht vorstellen, wie rasch da Einar Seitz und Anders Seitz zum lebenden Synonym fürs ewige und fruchtlose Hin und Her wurden. Und von da weg sickerten ihre Namen erstaunlich schnell in den deutschen Sprachgebrauch ein, mutiert zur  mehrgliedrigen Konjunktion «einerseits – anderseits». Eine Konjunk­tion übrigens, die noch heute das Trennende betont, denn zwischen «einerseits» und «anderseits» steht immer ein Komma. Oder ein Punkt.

Schliesslich schwappte «einerseits – anderseits» auch in die Schweizer Alltags­sprache. Einerseits erfreut sich die Wendung seither grosser Beliebtheit. Anderseits forderten national gesinnte Sprachpfleger lange, auf Distanz zu Einar und Anders zu gehen und empfahlen ihrerseits, stattdessen auf Hans und Heiri zu setzen. Aber «hansseits» und «heiriseits» vermochte als Alternative nie zu überzeugen. Und auch das daraus hervorgegangene «Hans was Heiri» ist recht bedeutungslos geblieben.

Martin Z. wird uns beipflichten: Unter dem Strich bleibt es egal, ob wir uns mit  «einerseits – anderseits» oder mit anderen Floskeln um klare Aussagen drücken.
Es ist Hans was Heiri oder – für unsere Leserinnen – Hanna was Heidi.

*) Für unsere alemannischen Leser:innen: Keks = Güetzi, Güetzli, Guetzli

Askforce-Nr. 1063
13. März 2023