Die Frage ist bereits im Juli bei uns eingegangen. Über Monate ist sie im Fragen­ordner liegen geblieben. Es ist eine schwierige Frage.

Sie stammt von Rolf S. aus Bern. Er wende sich mit einem Problem an die Askforce, schrieb er und schilderte es: Auf einer Zugfahrt sei ihm gegenüber ein Schwarzer gesessen. Weil die Sonne auf «unserer» Seite unbarmherzig durchs Fenster schien und blendete, hätte er eigentlich ins schattige Abteil auf der anderen Seite des Ganges wechseln wollen. Er habe es aber nicht getan. «Ich traute mich nicht.» Er habe befürchtet, der Mann könnte das missverstehen.

Er habe es zwar in Betracht gezogen, schreibt Herr S., «den wirklichen Sachverhalt zu erklären – aber dies hätte vielleicht wie ein heuchlerischer Rechtfertigungs­versuch ausgesehen.» Also habe er auf seinem Platz ausgeharrt, «bis ich endlich aussteigen konnte».

Die Frage, die Herr S. schliesslich stellt, liegt auf der Hand: «Wie hätte ich mich in dieser Situation verhalten müssen, ohne dass mein Gegenüber mich als Rassisten verdächtigt?»

Lieber Herr S., wir verstehen, dass Sie diese Situation als problematisch erlebt haben. Sie waren unfähig zu handeln – weil Sie an das dachten, von dem Sie denken, Sie sollten nicht daran denken. Und weil Sie verhindern wollten, dass jemand über Sie denkt, Sie würden an das denken, von dem Sie denken, Sie sollten nicht daran denken, harrten Sie aus.

Das hat Ihnen aber nichts genützt: Denn gerade weil Sie in einer ungemütlichen Blendsituation ausharrten, war Ihrem Gegenüber klar, dass ihm gegenüber einer sitzt, der nicht möchte, dass sein Gegenüber denkt, er denke an das, von dem er denkt, er sollte nicht daran denken.

Das heisst aus unserer Sicht aber nicht, dass Ihr Gegenüber Sie als Rassisten verdächtigte. Ihm war bloss klar, dass es noch Zeit braucht, bis ein Berner wie Sie, Herr S., nicht mehr denkt, ihm gegenüber sitze ein Schwarzer im Zugsabteil, wenn ihm gegenüber ein Schwarzer im Zugsabteil sitzt.

Und wir, Herr S., möchten Ihnen – statt der Antwort, die Sie von uns erwarten – immerhin etwas Trost zukommen lassen. Aufgrund Ihrer Schilderung haben wir Sie nämlich als feinfühligen Menschen wahrgenommen. Warum? Weil Sie geschrieben haben, die Sonne habe auf «unserer» Seite durchs Fenster hereingeblendet. Diese Wortwahl gefällt uns, denn Possessivpronomen sind vielsagende, manchmal gar verräterische Wörter. Sie können Grenzen markieren, aber auch Grenzen aufheben.

Askforce Nr. 1064,
13. März 2023