Wieso sind Spiegel in Umkleidekabinen so unangenehm?

Frl. Z. wird sich mit grosser Sicherheit niemals einer Nudistenkolonie anschliessen. Als Beweis dafür dient ein von ihr persönlich unterzeichnetes Schreiben, aus dem klar her­vorgeht, dass sie ihren Körper regelmässig in allerlei Textilien hüllt. Ihre Frage dreht sich nämlich um den Kauf von diesen.

Frl. Z. wird beim Aufsuchen von Umkleide­kabinen normalerweise von grossem Unbehagen befallen. Sie schreibt von unvorteil­hafter Ausleuchtung und Spiegeln, in denen alle Falten und Kilos, die am Vortag bestimmt noch nicht da gewesen seien, ins Auge sprängen. Jetzt will sie wissen, wieso Kaufhäuser einem das antun. Um diese Frage gewissenhaft beantworten zu können, muss zunächst eruiert werden, ob Z. nicht etwa an übersteigerter Selbstverliebtheit leidet. Schliesslich besetzt der Spiegel in der Geschichte der Menschheit einen prominenten Platz als Symbol der Eitel­keit. Um diese nicht noch zu fördern, galten Spiegel beispielsweise in manchen Klöstern als verboten. Frl. Z. hingegen scheint sich dermassen oft im Spiegel zu beäugen, dass ihr aus historischer Sichtweise eine gewisse Dandyhaftigkeit attestiert werden muss.

Nun wollen wir aber die egomanische Ader von Frl. Z. nicht allzu streng verurteilen. Denn selbst das Askforce-Kollektiv schaut regelmässig in den Spiegel. Selbstver­ständlich nicht aus Eitelkeit, sondern aus Gründen der biologischen Recherche. Schliesslich ist der Mensch an sich ein lebendes Beispiel für die Vergänglichkeit, die sich fortlaufend am eigenen Körper manifestiert.

Nun entspricht es jedoch dem gesellschaftlichen Usus, sich gegen den natürlichen Lauf der Zeit zu stellen. Dem Zerfall der irdischen Hülle wird mit diversen Lotionen der Kampf angesagt. Aber auch immer neue Zwirne werden über die alternde Haut gelegt, um die abnehmende Spannkraft des Äusseren zu überdecken. Diese Schlacht gegen die Spuren des eigenen Ablebens ist kostenintensiv und nicht zu gewinnen. Deshalb ist die Rüstungsindustrie der Eitelkeit ein äusserst lukrativer Geschäftszweig.

Kaufhäuser sind sich dessen natürlich bewusst und installieren genau deswegen erbarmungslose Spiegel in den Umkleidekabinen. Denn die permanente Verzweiflung der Konsumierenden über ihre Körper ist das beste Rezept für wiederkehrende Kund­schaft. Wenn Frl. Z. diesen Teufelskreis durchbrechen will, bleibt nur noch der Beitritt in die Nudistenkolonie.