Verkehrt herum im Theater
Ein Strassentheater in zwei Akten / erster Akt
In der Gemeinde Köniz darf ein geplantes Haus nicht gebaut werden, weil dessen Eingang nicht zur vielbefahrenen Hauptstrasse hin projektiert wurde, sondern in Richtung des auf der anderen Hausseite gelegenen ruhigen Quartiersträsschens. Für das derart verkehrte Haus dürfe man keine Baubewilligung erteilen, erklärte der zuständige Könizer Gemeinderat vor laufender TV-Kamera: Kehre ein Haus dem Autoverkehr den Rücken zu, sei das «ungefähr das Gleiche, wie wenn im Theatersaal – mitten drin – ein Besucher verkehrt herum sitzen würde»; «da würde man sich auch wundern». Nun aber wundert sich Thomas S. aus Niederscherli: «Auf welche Theatererfahrung der Könizer Behörde deutet das hin?»
Wenn wir Thomas S. richtig verstehen, dann will er von der Askforce hören, dass der Könizer Gemeinderat von Theater wenig bis nichts versteht, obwohl die Könizer Bauverwaltung im aktuellen Beispiel in der Sparte «Strassentheater» dilettiert.
In der Tat kann man zunächst zu diesem Schluss kommen, denn die zuständige Behörde erliegt hier – so scheint es zumindest– einem Grundlagenirrtum. Im Stadttheater Bern zum Beispiel gibt es keinerlei Anzeichen für das Bedürfnis des Verkehrtherumsitzens. Denn: Wer dem Ausgang eines Bühnenwerks entgegen-fiebert, blickt zur Bühne und nicht zum Ausgang (und das über den Ausgängen grün leuchtende Schildchen mit der Aufschrift «Exit» ist nicht Teil der Inszenierung). Blickt hingegen ein Haus nicht zur Hauptstrasse hin, sondern in verkehrter Richtung, dann blickt es nicht in eine dunkle Leere mit grünem Exit-Wegweiser, sondern auf den von Katzen genutzten Sandkasten der Kinder, den fröhlich qualmenden Kugelgrill und aufs emsige Treiben des lustigen Mähroboters.
Vermutlich ist die Könizer Behörde aber gar nicht kulturfern, sondern nutzt hier eine raffinierte Form von Allegorie und Metapher: Künstlerisch verfremdet bringt sie zum Ausdruck, auf welcher Bühne in Köniz das grosse Theater spielt. Die behördliche Kernaussage ist im Prinzip: Wenn der Mensch Durchgangsverkehr sehen will, so muss er in Richtung Strasse blicken; ähnlich wie der Mensch im Theater zur Bühne hin blicken muss, wenn er Bühnenkunst sehen will. De facto erklärt Köniz damit motorisierten Individualverkehr zur Kunstform. Das ist sehr vielversprechend. So lässt sich Strassenbau als Kulturförderung begreifen.
Für den nächsten Theaterworkshop des fünfköpfigen Könizer Gemeinderats würde eventuell das Motiv «Ruderregatta» taugen: Alle setzen sich ins gleiche Boot; alle rudern kräftig; alle blicken in die gleiche Richtung; alle krachen gemeinsam in die nächste Hafenmauer. Erst wenn sich die Steuerfrau – oder der Steuermann –verkehrt herum ins Boot setzt, bleibt dieses hübsch auf Kurs. Verkehrt herum ist manchmal haargenau richtig.
Askforce Nr. 1187
30. Juni 2025