Leserin Marianne B.-M. aus S. ist aufgefallen, dass Politikerinnen, Politiker und andere sich öffentlich äussernde Personen – Wirtschaftsfachleute, Expertinnen und Experten jedweder Art – ihre Statements häufig wie folgt einleiten: «Ich würde meinen . . .» oder «Ich würde denken . . .» oder auch «Ich würde glauben . . .». Da beschleicht Frau B. der Verdacht, die Politiker stünden «vielleicht nicht ganz hinter ihrer Meinung». Ob das überhaupt gehe, begehrt sie von der Askforce zu wissen: «Kann man im Konjunktiv meinen, denken, glauben?» Bei Gott, eine hochphilosophische Frage! Die Askforce würde meinen, die Antwort will wohlüberlegt sein.
(Dreieinhalb Wochen später.)
Grundsätzlich, liebe Frau B., gilt es, den Konjunktiv zu ehren. Er zeugt von Höflichkeit (hätten Sie einen Moment Zeit?), verträumter Poesie (wenn ich ein Vöglein wär und auch zwei Flüglein hätt, flög ich zu dir) und von Gaumenfreuden (man nehme ein Pfund Butter). Ausser bei Politikern und Expertinnen. Dort ist der Konjunktiv schiere Überlebensstrategie. Diese Leute müssen sich jederzeit der Grosswetterlage anpassen können. Deshalb – und nicht etwa aus Opportunismus oder gar Feigheit, wie Frau B. drastisch mutmasst – bevorzugen sie die Möglichkeitsform.
Sie sagen jahrzehntelang: Ich würde meinen, Kernkraftwerke sind sicher. Kommt ihnen dann ein Erdbeben mit Tsunami ungelegen, beteuern sie über Nacht: Ich habe nie gesagt, dass ich Atomkraft befürworte. Ich habe es höchstens für nicht gänzlich ausgeschlossen gehalten, dass die Kernkraft eventuell einen Teil unseres Energiebedarfs decken könnte, aber nur einen extrem winzigen. Wer mir richtig zugehört hat wie Frau B.-M. aus S., weiss, dass ich die vorhandenen Risiken immer mitmeinte. Ich wollte mich damit nur nicht vordrängen, schon gar nicht in den Medien. Denn das ist nicht meine Art. Im übrigen würde ich meinen, Kernkraftwerke sind gefährlich.
Leicht im Vorteil befindet sich übrigens die im Bernbiet angesiedelte Politikerin, der aus dem Bernbiet stammende Experte. Die dortige Muttersprache hält Ausdrücke bereit, die zu grösstmöglicher Flexibilität verhelfen: I meinti, Mühlebärg verhäbi. Aber i wott nüüt gseit ha. I meinti, Mühlebärg chasch vergässe!
Askforce Nr. 510,
11. April 2011