Das Tetraeder, Demeters Milch und Esmeralda

Frau R. aus Köniz trinkt Demeter-Milch, die gemäss Aufdruck auf dem Tetrapack «mit Liebe für die Migros hergestellt» worden ist. Abgebildet ist auch eine «euter­bestückte Kuh», die laut Frau R. «zweifelsfrei die Herstellerin der Milch» sein muss. Damit zur Frage, mit der sich Frau R. an die Askforce wendet: «Wie ent­wickelt eine Kuh, nennen wir sie Esmeralda, eigentlich ihre Liebe zu einem Grossverteiler?»

Betrachten wir Frau R.s Frühstückstisch, stellen wir fest, dass wir uns in einem altgriechisch-anthroposophischen Kraftfeld bewegen, in dem nicht alles ist, was es zu sein vorgibt. So wird das Tetrapack – τετρα ist die griechische Vorsilbe für vier –mitnichten ein vierseitiger Verpackungskarton sein, sondern ein sechsseitiger. So wie die Milch garantiert nicht  von Demeter stammt, wiewohl die griechische Göttin der Fruchtbarkeit über einen eindrücklichen Milcheinschuss verfügt haben dürfte.

Doch wir wollen nicht spekulieren. Denn wir – und mit uns Frau R. – wissen haar­genau, dass es sich beim Inhalt des Hexaeders um Kuhmilch handelt, die nach den anthroposophischen Richtlinien des Demeter-Labels produziert wurde. Dieses geht zurück auf die landwirtschaftlichen Praktiken Rudolf Steiners. Dazu zählt, das Horn einer Kuh mit Mist zu füllen und zu vergraben, zwecks Herstellung eines Hornmistpräparats, das im Boden mit den Winterkräften aufgeladen wird.

Es gibt Menschen, die über diese Praxis den Kopf schütteln. So wie Sie, Frau R., wohl insgeheim Ihren Kopf schütteln, wenn Sie lesen, die Milch im Beutel auf Ihrem Tisch sei «mit Liebe für die Migros hergestellt worden». Doch was wissen wir, liebe Frau R.? Und was wissen wir nicht?

Nun: Rudolf Steiner und Gottlieb Duttweiler, der Gründer der Migros, sind sich soweit bekannt nicht persönlich begegnet. Das spricht dagegen, dass Esmeralda als anthroposophisch gebildete Kuh allein schon historisch bedingt eine tiefere Beziehung zur Migros aufgebaut hat. Dieser Bezug muss später zustande gekommen sein. Wir vermuten dahinter die Parawissenschaft des Marketings. Sie beruht auf dem Glauben, dass Menschen über bestimmte Praktiken dazu bewegt werden können, mehr und anderes zu konsumieren, als sie von Natur aus würden.

Eine Anwendung ist etwa das Abfüllen von plastifizierten Kartonbehältern – man­che nennen sie Tetraeder, andere Milchkartons – mit Milch und diese mit dem Bild einer euterbestückten Kuh zu versehen, die ihre Liebe zur Migros gesteht. Die An­hänger des Marketings glauben, dass sie dadurch die Lust auf die Milch in die Köpfe der Konsumentinnen und Konsumenten eingraben können, wo sie mit Kind­heitserinnerungskraft aufgeladen wird. Dass kann so weit gehen, dass Menschen der Kuh einen Namen geben. Zum Beispiel Esmeralda.

Liebe Frau R., vielleicht funktioniert ja auch die Sache mit dem Mist im Horn.

Askforce Nr. 1175
21. April 2025