Wer muss sterbenund wer darf versterben?

Die Frage, die Leser Z. aus B. an uns richtet, ist zeitlos, denn sie betrifft das Sterben. Z. ist aufgefallen, dass in der Zeitung nicht immer nur gestorben wird. So habe es von einer lokalen Bekanntheit – wir verschweigen den Namen, denn es geht uns um den Sachverhalt, losgelöst von der Person – geheissen, sie sei «verstorben». Unser Leser begehrt, von uns zu wissen: «Wem wird das profane Sterben zuteil und wem das Versterben?»

Das klingt einfach, würde man doch denken, dass in erster Linie geachtete, vielleicht gar genialische Persönlichkeiten, als da wären Forscher-Koryphäen, Dichterfürsten, Kirchenväter, Monarchen und Staatsleute, zu versterben pflegen. Krethi und Plethi dagegen stirbt einfach. Eine Aufzählung weiterer Verben, die dann bald einmal vom Profanen ins Respektlose oder Vulgäre changieren, ersparen wir uns. Aber eben, es ist gar nicht so einfach. Denn im «Bund» sind auch Unfallopfer, Amokläufer, Diktatoren und ein zwielichtiger «King of Pop» schon als verstorben bezeichnet worden. Der als gehoben empfundene Ausdruck ist also gar nicht so selten, wie man meint. In einem Jahr hat ihn der «Bund» rund dreihundertmal verwendet. Zum Wort dreihundertmal verweisen wir auf das gleichnamige humoristische Fontane-Gedicht über einen Schützen mit dem Vers: «Dreihundertmal durchfuhr mich das Hoffen: Heute hast du ins Schwarze getroffen.» Es stellte sich jedoch heraus, dass dies nicht der Fall – und dem Autor am Schluss «egal» war.

Nun ist es so, dass Schreibende, wir wissen es aus eigener Erfahrung, zuweilen von seltsamen Anwandlungen ergriffen werden. Ein Zug ins Pathetische bricht sich Bahn. So kommt es zu Inkonsistenzen. Das passierte auch schon der Askforce, als sie den «verstorbenen Urs» (einen Bären) auftreten liess. Auch mit der in Todesanzeigen immer wieder gebrauchten Wendung «unerwartet verstorben» haben wir uns vor Jahr und Tag schon befasst.

Wie bei so vielem im Leben muss sich Leser Z. damit abfinden, dass es zwar Regeln gibt, dass diese aber nicht immer und überall Gültigkeit besitzen; und dass es immer wieder Menschen gibt, die sich aus Unbekümmertheit oder Besserwisserei über Normen hinwegsetzen. Damit muss man leben. Man sollte dieses Phänomen aber nicht so ernst nehmen, dass einem versterbenselend wird.

Askforce Nr. 931,
2. Dezember 2019