Warum ich?
«Warum ich?» Die Frage stammt von Robert B. aus Köniz. Ergänzt wird sie nicht durch Erklärungen, wie sie bei Zuschriften an die Askforce gang und gäbe sind, sondern durch eine lapidare Feststellung: «Die kurze Frage.»
«Warum ich?» Es ist eine der sonderbarsten Fragen, die wir je erhalten haben. Denn je länger man sie auf der geistigen Werkbank hin und her bewegt, desto mächtiger wird sie. Am Ende ist sie schwer und monströs.
Es wäre ja denkbar, dass Sie, Herr B., lediglich wissen wollen, warum ausgerechnet Sie etwas tun müssen – wie das Schreiben eines Protokolls. Aber es geht Ihnen um mehr. Sie wollen wissen: Warum überhaupt ich? Und damit stossen Sie eine Pforte auf, hinter der die allergrössten Fragen lauern.
Was ist ein Ich? Was ist Ihr Ich? Was ist ein Ich, das sich nach sich selbst erkundigt, das die Welt betrachten kann und festzustellen vermag, dass diese Welt zwar viel grösser und auch beständiger ist als es selbst – dass diese Welt aber nicht in der Lage ist, die gleiche Frage zu stellen?
Konkret: Sie, Herr B., können sich Gedanken über die Sonne machen und sich überlegen, dass alles Leben auf der Erde von deren Existenz abhängig ist. Aber das Verrückte ist: Die Sonne kann sich nichts überlegen. Sie weiss nichts von Ihnen.
Und nichts von sich selbst. Der Umstand, dass an diesem schönen Plätzchen im Universum, das wir bewohnen, Ichs entstanden sind, ist an und für sich schon äusserst bemerkenswert.
Wenn Sie, Herr B., nun aber zusätzlich noch nach einem spezifischen Ich fragen, nämlich nach Ihrem eigenen, entwickelt sich plötzlich ein eiskalter Sog. Was, wenn Ihre Eltern sich nicht kennengelernt hätten? Oder wenn vor vielen Hundert oder Tausend Jahren die Lebenslinie, die zu Ihnen geführt hat, gestört worden wäre, weil eine einzige Ihrer unzähligen Urahninnen sich einen anderen Mann angelacht hätte?
Sie würden nicht existieren, Herr B. Und all jene Menschen, die kürzere oder längere Abschnitte dieser Lebenslinie mit Ihnen teilen, würden ebenfalls nicht existieren. Stattdessen wären andere Ichs in die Welt gekommen.
Weil es aber so ist, wie es ist, haben wir es nun mit Ihnen zu tun, Herr B. Sie sind nicht bloss eine Möglichkeit. Sie sind ein real existierender Mensch, ein real existierender Fragesteller.
Aber warum ausgerechnet Sie existieren, können wir Ihnen nicht sagen. Vermutlich müssen Sie sich mit der einfachsten Antwort zufrieden geben, die man auf eine solch schwierige Warum-Frage geben kann: Darum.
Askforce Nr. 1126
13. Mai 2024