Spieglein, Spieglein
Wir vermuten: Stefan B. aus Bern hat sich wieder einmal von einem Barber die Stoppeln trimmen lassen. Mit Folgen: Beim Anblick des Seifenmonsters im Spiegel hat ihn Mani Matters «metaphysisches Gruseln» gepackt. Panisch versuchte er, den Augenkontakt mit seinem spiegelbildlichen Vis-à-vis zu vermeiden – und landete prompt vor dem nächsten Problem, das er der Askforce schriftlich unterbreitet: «Wozu ist eigentlich der Hintergrund des Spiegels gut?»
Nun müssen wir ein bisschen ausholen. Die Askforce, stets um umfassende Weiterbildung bemüht, hat unlängst eine kleine Delegation zu Jorge Canete geschickt, Träger von allerhand Interior-Design-Awards, auf dass er uns in die elementaren Kniffe seiner Zunft einweihe. Der Workshop hat sich gelohnt. Es ist so, Stefan: Grundsätzlich bedingen sich Hintergrund und Vordergrund gegenseitig. Eine Binsenweisheit, ja, aber dringend zu beachten. Wenn etwa ein Fenster eine traumhafte Sicht auf eine atemberaubende Landschaft oder City-Szene bietet, darf der Rahmen nicht davon ablenken; er ist dezent und in natürlichen, der Umgebung angepassten Farben zu halten. Ist die Aussicht aber öde, kannst du gnädig üppige Gardinen davorhängen und dein Fenster mit einem barocken Rahmen als Eye-Catcher inszenieren.
Bezogen auf den Spiegel bedeutet das, dass in einem ersten Schritt die Qualität des Vordergrundes eruiert werden muss. Dafür stellst du dich ganz einfach vor den Spiegel und sagst es mit Schneewittchen: «Spieglein, Spieglein an der Wand, wer ist der Schönste im ganzen Land?» Ist der Vordergrund hammermässig, lächelt dich der wunderschöne Herr im Spiegel sofort und glückselig an. Dann kannst du den Hintergrund vergessen; jede Investition wäre pure Verschwendung.
Falls der Spiegel aber einen Lachanfall erleidet oder in fiesester Märchenmanier zum Beispiel eine Ode an einen jungen Prinzen oder den Vollmond singt, solltest du ihn trotzdem nicht gleich zerschlagen – das bringt sieben Jahre Unglück und macht dich auch nicht schöner. Du musst nur dafür sorgen, dass das Konterfei, das dir so hässig entgegenfaucht, seinerseits vom grimmen Anblick abgelenkt wird. Dazu musst du den Spiegel so platzieren, dass hinter dir wenn möglich ein hübsches oder aufgehübschtes – siehe oben – Fenster oder das Poster von Prinz Carl von Schweden beziehungsweise des Vollmonds erscheint. Und natürlich kann auch eine Fototapete mit Tannenwald oder wahlweise Palmenstrand schon vieles verbessern. Dein Gegenüber wird sich über diese Aussicht freuen und ganz glücklich «wie schön!» seufzen. Damit bist zwar nicht du gemeint, trotzdem freut es dich, dein Spiegelbild glücklich zu sehen, so dass du lächelst und vom Spiegelstefan zurück angelächelt wirst. Dann habt ihr beide es wieder gut.
Falls du, wie beim Barber, keinen Einfluss auf den Hintergrund hast, schliesst du einfach die Augen.
Askforce Nr. 1215
29. Dezember 2025