Wörter wie ein Omelettenauflauf

Die Askforce Nr. 1135 von Mitte Juli dieses Jahres hat es Frau Sylvia G. aus Biel angetan. Damals ging es um das Sterben von Wörtern – aber auch um Spontangeburten von Begriffen. Unser Beispiel war «pretzschnork».

Frau G. reagierte entzückt und berichtete von einer ähnlichen Erfahrung. Bloss ein paar Monate zuvor habe das Substantiv «Chnarziguflete» das Licht der Welt erblickt. «Es ist mir beim Improvisieren aus dem Mund gefallen», schrieb sie und fragte: «Können Sie mir dieses ‹Chnarziguflete› möglichst umfassend deuten?» Vor allem punkto Etymologie sei sie nicht weit gekommen.

Nun, Frau G., wir glauben, heute müssen Sie tapfer sein. Schon bei der Spontangeburt von «pretzschnork» hielt sich die Freude innerhalb der Askforce in Grenzen. Bei «Chnarziguflete» ergeht es uns gleich. Denn sind diese beiden Wörter nicht ein bitzeli sehr verdreht und verknorzt?

Das scheint uns nicht verwunderlich. Denn sie haben keine wirkliche Geschichte und keine Wurzel, die Jahrtausende in die Vergangenheit reicht bis zu den Urlauten unserer Ahninnen und Ahnen. Ziehen wir ein paar beliebige Wörter als Vergleich hinzu: BUCHENBLATT, SEIDE, AUGENBLICK. Alles perfekte Wörter. Oder erst die Namen amerikanischer Bundesstaaten, die auf eine herausragende Weise zeigen, wie wohlklingend Wörter sein können: NEBRASKA, MINNESOTA oder WYOMING – möchte man da nicht vor lauter Behaglichkeit ins Präriegras beissen?

Dagegen wirkt Ihr Wort, Frau G., so, als hätte man es – mit Verlaub – auf dem Schrottplatz der unbrauchbaren Buchstabenkombinationen gefunden. Betrachtet man es mit sehr viel Wohlwollen, könnte es an ein mittelalterliches Blasinstrument erinnern, das längst und zu Recht in Vergessenheit geraten ist. Oder an eine Art Omelettenauflauf, den man in Zeiten grossen Hungers mit dem zubereitete, was sich rund ums Haus noch finden liess.

Denkbar ist auch, dass Ihr Wort, Frau G., nicht ein Objekt bezeichnet, sondern – aufgrund der Endung – so etwas wie einen Vorgang. Ähnlich einer STAMPEDE, also der panikartigen Fluchtbewegung einer Tierherde. Für uns wäre es deshalb interessant zu wissen, worin Ihre Improvisation zum Zeitpunkt der Wortgeburt bestand. Naheliegend ist dies: Sie sind Mitglied eines Tanzensembles und haben mit Ihren Kolleg:innen etwas «Zeitgenössisches» und «Expressives» geprobt. 

Das könnte aufgehen: Eine CHNARZIGUFLETE wäre dann das freie Improvisieren zu Heavy Metal-Musik, das in ein exzessives Headbanging ausartet. Bis den ältesten Tänzerinnen und Tänzern die Gebisse aus dem Mund fliegen – und Ihnen, Frau G., sonderbar absonderliche Wörter.

Askforce Nr. 1152
11. November 2024