Wo werden die Fehler eingeräumt?
Verschiedentlich hat Leser aus A. in den Medien die Formulierung gelesen, dass Fehler eingeräumt werden. So hat jüngst der Berner Stadtpräsident Alec von Graffenried im «Bund» im Zusammenhang mit der plötzlichen Finanzknappheit Fehler eingeräumt. Leser von A. hat nun ein Quartett von Fragen an uns: «Wo werden diese Fehler eingeräumt? Wie viel Platz benötigen sie? Wie lange werden sie aufbewahrt? Werden die Fehler irgendwann vernichtet?»
In der Tat gibt es versteckt im Erlacherhof, dem Sitz der Stadtregierung, tief im Keller einen geräumigen Schrank. So wie in fast allen anderen Amtssitzen und Rathäusern der Schweiz, die übrigens derzeit auf den Kaffeerahmdeckeli abgebildet sind. (Manch ein bescheidenes Städtchen verfügt über ein bemerkenswert protziges Rathaus. Item.) Dieser Schrank, das Äquivalent der Ratsherren zum Giftschrank des Apothekers oder der Kuratorin, verfügt über zahlreiche Tablare und Schubladen, auf und in denen die Fehler und Irrtümer, geordnet nach Jahr und Verantwortlichkeit, aufbewahrt werden.
Mit der Zeit setzen die Fehler Staub an. Es ist ein sonderbar grauer und feinkörniger Staub, der durch die Ritzen des Schranks rieselt und die Fehler nicht nur zudeckt, sondern im Laufe der Jahre auffrisst. Nach langer Zeit ist nur noch Staub vorhanden, der anschliessend von der Archivarin oder dem Stadtschreiber mit Bürste und Schaufel weggefegt werden kann. (Entsorgung als normaler Hauskehricht im blauen Sack.)
Die Fehler sind selber zu Staub geworden und damit den Weg alles Irdischen gegangen. Somit erübrigt sich eine eigentliche Vernichtung der Fehler. Grundsätzlich werden die Fehler bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag aufbewahrt. Weil sie sich zu Staub auflösen, hat es im Schrank immer wieder Platz für neue Fehler. Es stellt sich ein harmonisches Gleichgewicht ein. Die Geringschätzung und Verächtlichmachung des Staubs ist demnach völlig unangebracht.
Bei einem ausserordentlich fehlbaren Gremium könnte es rein theoretisch dahin kommen, dass der Schrank einmal voll ist. Normalerweise lässt man in diesem Fall die Fehler einfach liegen und wischt sie dann bei passender Gelegenheit unter den Tisch. Gerade die vorbildliche Fehlerkultur in Bern könnte es übrigens einmal auf die Liste der lebendigen Traditionen der Schweiz schaffen.
Askforce Nr. 940,
3. Februar 2020