Wie viel Gewaltpotenzial steckt in einem Ratschlag?

Das Askforce-Gremium hat sich noch nie vor Konkurrenz gescheut. Um das zu unterstreichen, geben wir heute einem unserer Nebenbuhler in der Beantwortungsbranche die Möglichkeit, eine Frage zu stellen. Dabei handelt es sich um Herrn Gasser, der uns in seinem Schreiben mitteilt, dass er auf privater Basis gerne und oft Ratschläge erteilt. Da er bereits seit 87 Jahren auf dieser Erde wandelt, geht er davon aus, dass er darin aufgrund hoher Lebenserfahrung auch sehr gut ist. Nur stört er sich an der merkwürdigen Wortverknüpfung von Rat mit Schlag. Denn seine Mitmenschen mit seinem Rat zu schlagen, liege ihm fern. Nun will Herr Gasser wissen, wie es zu diesem misslichen Wortgebilde gekommen ist.

Natürlich kennt die Askforce die Antwort, will aber nicht gleich mit der Tür ins Haus fallen. Zuerst wollen wir darauf hinweisen, dass unsere Auskünfte grundsätzlich zeitlos sind und daher das Alter von deren Verfassern irrelevant ist. Wir gehen mit Herrn Gasser aber einig, dass die Wortkombination von Rat und Schlag durchaus etwas latent Gewalttätiges hat.

Nun stellt sich jedoch die Frage, ob das durchwegs schlecht ist. Denn wer einen Ratschlag erteilt, geht schliesslich davon aus, dass dieser Gutes bewirken wird. Der Rat wird also in altruistischer Absicht erteilt, um das Leben der Mitmenschen positiv zu prägen. Vielleicht braucht ein guter Ratschlag einfach ein Spürchen verkappte Gewalt, um vom Empfänger mit der nötigen Ernsthaftigkeit aufgenommen zu werden.

Die Askforce prügelt zwar noch keine 87 Jahre mit ihrem Wissen auf die werte Leserschaft ein, dennoch weiss sie, dass Herr Gasser eine völlig falsche Fährte verfolgt. Denn der Ratschlag birgt in seiner ursprünglichen Bedeutung über keinerlei physisches Aggressionspotenzial. Er bezieht sich darauf, den Kreis für eine Beratung zu schlagen, also abzugrenzen. Das geschieht beispielsweise, wenn ein Parlament tagt. Historische Spuren dieser anfänglichen Bedeutung lassen sich übrigens im Politbetrieb des Kantons Basel-Stadt finden. In diesem ist ein Ratschlag eine Vorlage der Kantonsregierung zuhanden des Parlaments.

Herr Gasser kann also seine geballten Lebensweisheiten sorgenlos unter die Leute bringen, ohne dabei befürchten zu müssen, ein gewalttätiger Mensch zu sein.

Askforce Nr. 935
30. Dezember 2019