Bereits nach neun Worten setzen wir hier einen Strichpunkt; ein selten gewordenes Satzzeichen also; ein hinfälliges Etwas mit wunderbarem Namen. Wer Melodiöses mag, nennt den Strichpunkt nämlich besser Semikolon, allein schon wegen der wunderbaren Mehrzahlform: ein Semikolon, viele Semikola.
Aber 100 Prozent aller Leserinnen, die sich im Fragen-Forum auf www.askforce.ch zum Semikolon äusserten, sagen dessen Aussterben voraus. Veronika M. aus G. sagt: «Es ist halt ein schwächliches Wesen.» Es wirke mit seinem Köpfchen und schwindsüchtigen Körperchen «wie ein Bettler, angelehnt an einen Laubenpfeiler». Und in Vorahnung des nahen Endes aller Semikola ruft uns Frl. Z. zu: «Was kann man gegen dieses Artensterben tun?» Leider insinuieren die zitierten Damen, das serbelnde Semikolon sei an seinem stillen Siechtum selber schuld. Diese Opferlogik ist falsch. Wer der Wahrheit in ihre blauen Augen schaut, erkennt: Da liegt ein ungesühntes Verbrechen vor.
Das Semikolon trennt stärker als das ordinäre Komma; es bremst weniger abrupt als der ordinäre Punkt. Dieses kluge, differenzierte, lebensbejahende Zeichen serbelt nicht, sondern wird für die anhaltende Ironiezeichenschwemme skrupellos ausgebeutet: Jedes ebenso beiläufig wie sinnlos gesetzte Zwinker-Icon ; – ) beinhaltet bei Lichte betrachtet ein gemeucheltes Semikolon. Der Schaden, den die Zwinker-Zwinker-Industrie schon angerichtet hat, ist immens. Bereits sind ganze Generationen im Glauben alphabetisiert worden, das kleine ; sei nichts weiter als die Augenpartie eines Emoticons.
Ein Verbrechen kommt selten allein. Immer öfter werden Semikola auch in ihre Einzelteile zerhackt. Das Häckselgut wird – als orthografischer Schadstoff – ins Schriftbild eingestreut: als Deppenapostroph. Des Deppenapostroph’s Macht wächst; all die Elsa’s, Otto’s und dritten’s die Oesch’s mit ihren Lädeli’s, Studio’s, Grüessli’s, CD’s und Pub’s stehen in seinem Bann. Sie rufen: Hör’ zu, komm ’rein, mach’s mit, für’s Vergnügen!
Die abgetrennten Semikola-Köpfchen übrigens werden als Dreipunkte-Flut im Sprachfluss verklappt. Sichtbar wird dies dort, wo kryptisch ein Sinn angedeutet wird, wo gar keiner ist: Wenn Sie wüssten…, das ist eine andere Frage…, da sag ich lieber nichts… Dabei ist klar: Die Trippelpunkte-Deppenandeutung ist bloss die scheinintellektuelle Cousine des Deppenapostroph’s.
Wie retten wir das Semikolon? Wir sehen zwei Ansätze: Die ewig Zwinkernden sollen zum Augenarzt. Ihr Leiden ist eventuell heilbar. Und dem Deppenapostroph begegnen wir am besten dezidiert mit einer Lenkungsabgabe: der Satzzeichensteuer.
Askforce Nr. 1008,
21. Februar 2022