«Es wurde eine leblose Person gefunden», liest Karin E. oftmals «in Zeitungsartikeln». Und dann stelle sich heraus, dass sie – die Person – tot war. Warum denn das Wort «leblos» als Synonym für «tot» verwendet werde? Ob das, fragt sie die Askforce, daher komme, dass «leblos» weniger krass klinge als «tot»?
Letzterem stimmen wir zu, Frau E. Das melodiöse «leblos» klingt geradezu tröstlich neben dem dumpf-abweisenden «tot». Aber: Seit dem Überfall Putins auf die Ukraine müssen wir unsere Befindlich- und Begrifflichkeiten zu Leben und Tod neu denken.
Genauer: nicht wirklich neu, denn alles war schon mal da, wie uns Historiker und letzte Zeitzeugen schmerzlich in Erinnerung rufen. Zwar pflegen wir «Westmenschen» einerseits einen Parallelkosmos, in dem Gewalt und Tod so präsent sind wie noch nie in der Geschichte: In all den Videogames, Kino-, Netflix- und TV-Blockbustern wird beliebig geschossen, gemordet und bombardiert, geht die Welt täglich in immer neuen Schreckensszenarien unter.
Umso ferner scheint andererseits alles Gewaltsame oder gar Tödliche in unserem realen Alltag. So fern, dass sensible Seelen schon psychologische Betreuung beanspruchen, wenn sie verbale Grobheiten unter Nachbarn mitbekommen. So fern eben auch, dass Zeitungsredaktionen ihre Leserinnen mit dem hoffnungsfrohen Wörtchen «leblos» sanft auf den möglichen Tod eines Menschen einstimmen müssen.
Doch zurück zum Sprachlichen, Frau E. Wenn ein lebloses Wesen nicht zwingend tot ist, muss auf dessen Weg ins Jenseits noch etwas verloren gehen. Bertold Brecht gibt dazu einen Hinweis: «Der Mensch ist erst wirklich tot, wenn niemand mehr an ihn denkt.» Auf dem Weg von leblos zu tot verblassen also die Erinnerungen an unsere Mitmenschen, bis nichts mehr von ihnen bleibt. Das kann Wochen dauern, Jahre, Generationen oder Jahrhunderte, je nach Bekanntheit. Das ist doch schon mal tröstlich, Frau E.: dass es lange dauern kann, wie ja auch bei Bertold Brecht selbst.
Doch die Askforce wäre nicht die legendäre Instanz, die sie nun mal ist, wenn sie dazu nicht einen alternativen Lösungsansatz entwickelt hätte: Es wäre doch fast noch tröstlicher, jene, die tot scheinen, präventiv schon mal als tot zu bezeichnen – um dann ein paar Zeilen später zu melden, dass sie noch leben!
Askforce Nr. 1012,
21. März 2022