Gut erzogen, wie sie wohl ist, wendet sich Frau Sonja W. aus dem steuergünstigen Muri an die Askforce. Sie konstatiert, die Askforce beantworte ernste, höfliche Fragen oft sehr unanständig, ja grob, beschimpfend. «Dabei ist Höflichkeit immer eine Zier!», versichert uns Sonja W. und schiebt fragend nach: «Ich hänge an solch altmodischen Werten. Oder bin ich etwa blöd?»

Sonja W. thematisiert damit etwas, was eine Instanz wie die Askforce natürlich in ihrem Innersten trifft: Je stärker sie ihren unbeirrbaren Verstand und ihren Drang zur Wahrheit einsetzt, desto häufiger wird sie missverstanden, fehlgedeutet. Zur Verdeutlichung sei die vorliegende Zuschrift genauer analysiert. Die einzige echte Frage von Frau Sonja ist nämlich jene, ob sie «etwa blöd» sei. Der Rest ist Belehrung.

Frau Sonja zwingt uns also – unbewusst? boshaft? blödheitsbedingt? – in einen Konflikt zwischen Höflichkeit und Ehrlichkeit. Das Dilemma: Würden wir ehrlicherweise sagen, was wir im vorliegenden Kontext annehmen müssen – «ja, Sie sind vermutlich blöd» –, würde Frau Sonja uns umgehend der Unhöflichkeit bezichtigen, statt unsere Ehrlichkeit zu rühmen. Mehr noch: Sie vergässe den Argumenten zu folgen, aufgrund derer die Askforce ihr Urteil genau so fällen musste.

Höflichkeit ist nämlich keineswegs in jedem Fall eine Zier, denn Höflichkeit ist allzu oft das gezielte Beruhigungsmittel für die Satten, die in ihrer Wohlstandsruhe nicht gestört werden sollen. Seien Sie nicht so entsetzt, Frau Sonja! Blättern Sie besser in Ihrem Leibblatt-Archiv und lesen Sie dort, wie höflich die Regierung unseres Landes erzählt, dass sie jetzt die Entwicklungshilfe der Schweiz weiter kürzen wird, um mit den abgezwackten Millionen der Schweizer Wirtschaft den Marktzugang in die neuen EU-Staaten zu finanzieren. Und jetzt kommts endlich, Frau Sonja: In einem solchen Fall die Höflichkeit als Zier anzusehen, ist wirklich sehr, sehr blöd.

Askforce Nr. 272,
19. Juni 2006