Matthias W. ist ein schöpferischer Mensch: Freimütig erzählt er uns, wie er in den eigenen vier Wänden oft ein zweites oder drittes Mal schöpft, bevor er sich satt vom Tisch erhebt. Esse er aber in Gaststätten, sei sein Verhalten ganz anders: Da sei er oft schon beim ersten Teller überfordert und lasse Resten zurück. Er sucht nun nach «einer befriedigenden Antwort» auf dieses Phänomen, «obwohl ich nicht im Kanton Bern wohne, sondern im freiburgischen Murten».

Klären wir erstens das Historische. Es ist aus bernischer Perspektive verständlich, dass der Murtner Matthias W. unter einem latenten Minderwertigkeitsgefühl leidet. Immerhin hatte die Berner Obrigkeit das hübsche Zähringerstädtchen im Jahr siebzehnhundertsowieso kaltherzig den einmarschierenden Franzosen überlassen. Und derart vom Berner Mutz im Stich gelassen, wurde Murten 1803 dem Kanton Freiburg zugeschlagen. Es ist natürlich die freie, persönliche Entscheidung jedes heutigen Murtners, immer noch an dieser Geschichte zu leiden. Wir schlagen Herrn W. trotzdem vor, sich künftig nicht mehr für die Tatsache zu entschuldigen, Murtner und nicht Berner zu sein.

Zweitens. Die identitätsmässige Zerrissenheit führt bei Herrn W. offensichtlich dazu, dass er chronisch nur überteuerte und schlechte Beizen besucht, wo er dann den mikrowellenerwärmten Convenience-Food samt der welken Deko-Petersilie lustlos beiseite schiebt. Wie bei allen schlecht vernarbten historischen Verletzungen ist es schliesslich auch bei Herrn W. so, dass dann alles, was im Mikrokosmos der eigenen Küche zubereitet wird, als heimatstiftender Genuss erlebt wird: Hier lebe ich, hier esse ich, hier schmeckt es mir. Quasi Hausmannskost als Bollwerk gegen die historische Ungerechtigkeit.

Es gibt freilich noch die Variante, dass im Haushalt von Herrn Matthias W. schlicht und einfach viel besser gekocht wird als in allen Beizen in seinem Umfeld. Dann muss sich die Askforce aber fragen, warum er uns Fragen serviert statt eines seiner Menüs.

Askforce Nr. 386
6. Oktober 2008