Psychologie und Erotik sind zwei Themengebiete, die durch eine tiefe Schnittmenge miteinander verbunden sind. Und genau in diese werden wir durch die Frage von M. L. hineingezogen. Es ist wegen Roger Federer. Der hat letzthin in Miami so gut Tennis gespielt, dass er dafür einen Pokal überreicht bekommen hat. Dieser wurde darauf von Federer geküsst. Laut M. L. kein Einzelfall. Er stelle immer wieder fest, dass erfolgreiche Menschen Gegenstände wie Pokale oder Medaillen küssten. Nun will er wissen: Ist das eine spezielle erotische Neigung, die er als Erfolgloser einfach nicht kenne?

M. L. hat Glück. Der unergründliche Askforce-Wissensfundus deckt auch die Philematologie ab, also die wissenschaftliche Erforschung des Kusses. Diese bringt uns in eine Welt, in der aus unzähligen Gründen Lippen auf alles Mögliche gedrückt werden. Papst Johannes Paul II. küsste als Zeichen der Verehrung diverse Böden von ihm erstmals bereister Länder. Der sozialistische Bruderkuss diente Kommunisten im Ostblock als Begrüssungsritual, und im Mafia-Milieu angesiedelte Menschen küssen, um jemandem den baldigen Tod in Aussicht zu stellen.

Der emotionale Anlass für einen Kuss kann also unterschiedlichster Natur sein. In unserem Kulturkreis werden Küsse aber vermutlich am häufigsten aus Gründen gesteigerter Zuneigung, sprich Liebe, vergeben. Wenn das Objekt der Begierde dabei ein Gegenstand ist, dann sprechen wir Fachleute von Objektophilie – eine sexuelle Orientierung, zu der nur wenige Dokumentationen vorliegen. Berühmtestes Beispiel ist die schwedische Modellbauerin Eija-Riitta Eklöf, welche 1979 die Berliner Mauer in einem symbolischen Akt geheiratet hat. Oder Jutta W., die 14 Jahre lang eine Liebesbeziehung mit der Bodensee-Fähre Euregia führte.

Zudem gibt es erfasste Fälle von Beziehungen zwischen Menschen und dem Eiffelturm, landwirtschaftlichen Fahrzeugen und Lokomotiven. Sogar eine Jukebox zog humane Sehnsucht auf sich. Eines haben die Beziehungen dabei gemeinsam: Der menschliche Teil von ihnen hat nie gut in Miami Tennis gespielt und war auch in anderen Belangen nicht sonderlich erfolgreich. Deshalb ist ein direkter Zusammenhang zwischen Erfolg und Objektophilie grundsätzlich auszuschliessen.

Askforce Nr. 901,
15. April 2019