Die Frage, die uns Herr Reinhard L. aus Münsingen stellt, ist sehr elegant formuliert: «Einmal mehr», schreibt er, «bleibe ich an einem Ausdruck hängen, der bei näherem Hinsehen einer Kritik nicht standhält.» Kürzlich habe er gelesen – nicht zum ersten Mal –, die Schweiz sei eine Willensnation. Das würde bedeuten, folgerte er, «wir sind also ein Volk mit einem Willen, wir sind willens, etwas zu tun, zu sagen, zu … , ja was eigentlich?» Logischerweise müsse es daher auch Nationen geben, die ohne Willen seien, fährt Herr L. fort, kommt aber zum Schluss, dass es schwierig werden dürfte, solche zu finden. «Ich vertraue fest auf Klärung Ihrerseits», schreibt er.

Ein Ausdruck, «der bei näherem Hinsehen einer Kritik nicht standhält»: Das klingt wirklich gut, Herr L. Und wir dürfen Ihnen mitteilen: Beim Ausdruck Willensnation hegen auch wir nach längerem Hinsehen unsere Zweifel. Vor allem, wenn behauptet wird, die Schweiz sei eine Willensnation. (Nur nebenbei: Wenn man sich vorstellt, aus dem Wort «behauptet» wären Buchstaben herausgefallen, entdeckt man bei genauerem Hinsehen das Wort «Hupe»). Denn aus unserer Sicht ist die Schweiz gerade das Gegenteil einer Willensnation.

Warum? Aufgrund der Lage! Oft wird behauptet, Menschen, die sich an unwirtlichen Orten niederlassen, hätten einen sehr starken Willen. Das stimmt gerade nicht: Menschen, die einen starken Willen haben (und diesen auch durchzusetzen vermögen), wohnen an schönen Orten – aber sicher nicht in entlegenen Bergtälern wie seinerzeit die guten alten Eidgenossen.

Zur Veranschaulichung: Ähnlich verklärt wie der Blick auf die Schweiz ist der Blick auf die Kaiserpinguine. In zahlreichen Dokumentarfilmen werden sie als Sonderfall-Tierart dargestellt – nur weil sie fähig sind, mit den gelegten Eiern auf den Füssen im antarktischen Winter auszuharren.

Aber sagen Sie selber, Herr L., was ist daran so toll? Wer dort lebt, hat jeden Kampf um ein wärmeres Plätzchen verloren, liess sich nadisna abdrängen an einen Ort, wo es dunkel und kalt ist. Kaiserpinguine sind keine Stars. Sie sind Loser! Ob es mehr als ein blosser Zufall ist, dass sie auf eine ähnliche Weise herumstehen wie Jodler?

Und hier unten – wo sonst? – noch die oben herausgefallenen Buchstaben: beatt

Askforce Nr. 477,
16. August 2010