Schraubenzieher oder -dreher?

«Warum nennen wir das längliche Werkzeug mit dem roten Griff ‹Schrauben­zieher›, obwohl von den weltweit geschraubten Schrauben die wenigsten gezogen werden?», fragt uns M. L. aus K., der sich in seiner Zuschrift als Heimwerker ausgibt. Und ergänzend fragt Herr L.: «Und warum nannten ausgerechnet die DDR-Werktätigen in den volkseigenen Werkstätten das Werkzeug hochpräzise ‹Schraubendreher›?»

Lieber Herr L., Sie greifen mit Ihrer Frage ein Problem auf, das für die meisten Leserinnen und Leser bis zu dem Moment, in dem sie Ihre Frage lesen, gar kein Problem darstellte. Somit sind Sie so etwas wie ein Problemaufgreifer. Allerdings sind Sie nicht der Erste, der auf dieses Problem gestossen ist: Wie die Askforce, die manchmal auch das Internetlexikon Wikipedia konsultiert, festgestellt hat, wird dort genau zu dieser Frage ein regelrechter Glaubenskrieg ausgetragen. «Die einzig richtige Bezeichnung lautet Schraubendreher», schreibt jemand. Aus der anderen Fangemeinde heraus tönt es so: «Jeder normale Mensch sagt Schraubenzieher.»

Wie wir aus Ihrer Fragestellung schliessen, Herr L., scheint für Sie der Begriff Schraubendreher ebenfalls der einzig richtige zu sein. Doch ob diese Bezeichnung tatsächlich «hochpräzise» ist, wie Sie schreiben, wagen wir zu bezweifeln. Denn eine Schraube, die sich im engeren Sinn bloss dreht, dringt noch nirgends ein. Richtiger wäre es wohl, von einem Schraubeneindreher zu sprechen. Dabei bliebe jedoch die Möglichkeit des Herausdrehens unberücksichtigt. Am korrektesten wäre darum wohl die Bezeichnung Schraubenein- oder -herausdreher.

Im Gegensatz zu Ihnen, Herr L., findet die Askforce «Schraubenzieher» aber gar nicht unpassend. Steht nämlich ein Heimwerker, der noch nie eine Schraube sah, vor einer Wand mit einer Schraube drin, die er herausnehmen möchte, ist sein Gedanke naheliegend, das Ding herausziehen zu wollen.

Die Askforce ist dank Ihnen, Herr Problemaufgreifer, übrigens auf drei weitere Fragenkomplexe gestossen. Erstens: Die Bezeichnung von Werkzeugen ist überhaupt nicht einheitlich. Während beim Schraubenzieher das Objekt, das damit bewegt wird (die Schraube), Teil der Bezeichnung ist, deutet beim Hammer nichts darauf hin, wofür er benutzt werden kann. Der Einheitlichkeit diente es, von einem Nägeleinschlager zu sprechen. Kein leichtes Los für den Schraubenzieher: Weil er keinen Eigennamen hat, scheint er ein zweitklassiges Werkzeug zu sein.

Aber umgekehrt (zweitens) hat der Schraubenzieher dem Hammer etwas voraus:
Er kann seine Objekte ein- und herausdrehen. Das kann der Hammer mit den Nägeln nicht. Er kann sie bloss einschlagen. Um sie herauszuziehen, wird eine Beisszange benötigt. Mit dieser wiederum (drittens) kann man bei Bedarf auch Nägel einschlagen. Um zu erörtern, was dies bedeutet, fehlt aber leider der Platz. Drum wird hier abgeklemmt – mittels Textzange.

Askforce Nr. 436,
12. Oktober 2009