Pflanzen anbellen
Manche Menschen tun wunderliche Dinge und stellen dazu auch noch wunderliche Fragen. Zu dieser Gattung zählt Michael W. aus Belp. Er schreibt: «Immer, wenn ich einem Beifuss – Artemis vulgaris – am Wegrand dezidiert ‹bei Fuss!› zurufe, tut dieser keinen Wank. Er bleibt wie angewurzelt stehen. Mache ich etwas falsch?»
Die Antwort auf die Schnelle: Ja, Sie machen da was falsch. Spazierenderweise heilkräftige Kräuter am Wegesrande anzuschnauzen, ist einfach nicht die feine Art. Das nervt nicht nur Beifüsse, sondern alles, was dort auf den Beinen ist.
Der Beifuss dagegen macht einiges richtig. Artemis vulgaris ist ja der gemeine Beifuss. Er erfüllt das seinem Namen innewohnende Versprechen und schafft es easy, Ihnen gegenüber ein klein wenig gemein zu sein, ohne einen einzigen Finger zu rühren, allein durch sein Schweigen und Nichtstun als Antwort auf Ihren Befehlston.
Gehen wir tiefer und packen die Sache bei der Wurzel, lernen wir Grundsätzliches. Pflanzen lassen sich generell sehr schlecht herumkommandieren. Das Springkraut, Impatiens glandulifera, macht nicht den kleinsten Hüpfer, wenn Sie ihm zurufen: «Spring, Kraut!» Und vom Myosotis mit seinen zierlichen, hellblauen Blütchen werden Sie komplett ausgeblendet, wenn Sie ihm entgegenbellen: «Vergiss mein nicht!» Die Voraussetzung fürs Vergessen existiert hier nicht einmal, weil es überhaupt noch nie an Sie gedacht hat.
Das Problem ist nicht, dass Grünzeug keine Ohren hat. Einige Pflanzen können in gewisser Weise tatsächlich hören. Sie sondern süsseren Nektar ab, wenn sie das Summen und Brummen des richtigen Bestäubers «hören». Oder sie aktivieren Abwehrreaktionen, wenn sie das Kauen von Raupen «hören».
Das Problem sind eher die Pflanzennamen an sich: Beifuss & Co. kennen schlicht die Namen nicht, die ihnen Carl von Linné & Co. verpasst haben. Deshalb würde das Vergissmeinnicht seinen Wiesennachbarn nie mit einem fröhlichen «guten Morgen, Löwenzahn!» begrüssen. Erstens, weil es nicht wissen kann, was Löwen sind. Zweitens, weil es keinen Zahn mag – aus eigener Erfahrung mit den Zähnen seiner weidenden Fressfeinde. Pflanzen lehren uns: Der eigene Namen ist ein wunderliches Ding, wenn man ihn selber gar nicht kennt.
Wüssten Sie, Michael, nicht, dass Sie Michael heissen, könnten wir Ihnen nicht zurufen: Michael, ehrlich, Ihre Frage wirkt arg gekünstelt und nicht wirklich aus dem Leben gegriffen. Nun, vielleicht sind Sie Hundebesitzer? Dann rufen Sie künftig einfach Ihren Hund bei Fuss und nicht den Beifuss neben dem Hund. Aber bitte – bitte! – schreiben Sie uns hinterher nicht, ihr Vierbeiner platze erstaunlicherweise nie, obwohl Sie ihm stets deutlich und verständlich beföhlen: «Platz!» Wissen Sie: Das ist seit zirka 1954 einfach kein witziges Wortspiel mehr.
Askforce Nr. 1147
7. Oktober 2024