Dr. med. B. aus G. ist es sich berufeshalber gewohnt, den Gesundheitszustand seines Gegenübers zu diagnostizieren und bei Bedarf eine Therapie zu verschreiben. Nun glaubt Dr. med. B. in seinem Leibblatt, dem «Bund», eine Art um sich greifenden Schwachsinns festgestellt zu haben.

Der «Bund» habe heuer sicher schon über 500 Mal die Wendung «kontrovers diskutieren» gedruckt. Diese dümmliche Wortkombination sei aber schlicht «läppisch klugscheisserisch, die Jugend verderbend, weil dem korrekten Sprachgebrauch entfremdet». Er beweist in seinen Ausführungen auch noch, dass er etwa Tucholsky zu zitieren weiss. Kurz: An Bildung mangelt es dem Mann nachweislich nicht.

Die Askforce ist allerdings intellektuell auch nicht völlig minderbemittelt und kann daher die Bestürzung nachvollziehen: Wie wir Lateiner ja wissen, ist kontrovers eine Ableitung von contra (entgegen) und versus (gerichtet), ergo (lat. also) ist eine Kontroverse ziemlich haargenau das, was wir im Alltag als Debatte oder Diskussion erleben.

Wo diskutiert wird, prallen also per se sich entgegengerichtete Argumente aufeinander. Die Diskussion deswegen «kontrovers» zu nennen, ist somit in der Tat «läppisch klugscheisserisch», um diese stilvolle Wendung von Dr. med. B. erneut genüsslich zu zitieren. Was wäre übrigens eine «unkontroverse Diskussion»? Eine litaneiartige Absonderung von Sprache? Ein qualifizierter Versuch zur Anästhesierung der Zuhörerschaft?

Wir können also die Diagnosekunst von Dr. med. B. weitgehend bestätigen. Einige seiner Folgerungen sind allerdings arg übertrieben. So glaubt er vermuten zu dürfen, im «Bund» werde wohl ständig «kontrovers diskutiert». Wahr ist, dass im «Bund» – oder wenigstens in der Askforce – nie «kontrovers» diskutiert wird, sondern stets «angeregt», «kompetent», «von kraftvollen, aufklärerischen Gedanken beflügelt» und selten auch «beseelt vom Wunsch, der Feierabend möge rasch nahen».

Kontrovers diskutieren müssten wir vielleicht einzig die Frage: Wer ist jetzt eigentlich der Patient? Die unfähige, schreibende Zunft? Oder der Fragesteller, der sich in Besorgnis erregendem Ausmass aufregt? Therapeutischen Rat liefert fürs Erste Kurt Tucholsky, den auch wir gerne zitieren:

Das Ärgerliche am Ärger ist, dass man sich schadet, ohne anderen zu nützen.

Man darf also die Klugscheisser hin und wieder Klugscheisserisches schreiben lassen, ohne sie mit dem eigenen Ärger zu adeln. Das tut nicht gut. Ausser man hat selber Freude an der belebenden Ausschüttung von Adrenalin, die jeder hübsche Ärger nach sich zieht.

Askforce Nr. 735
23. November 2015