Langsamkeitliegt uns näher

«Wie bewirbt man ein Produkt, dessen Alleinstellungsmerkmal die Langsamkeit ist?», fragt uns Veronika M., aus «aktuellem Anlass (der Sie aber nichts angeht)». Dass das Produkt «allerhöchsten Qualitätsansprüchen» genüge, verstehe sich von selbst, «darüber müssen wir nicht reden», meint Frau M.

Das einzig Sympathische an dieser Frage ist, dass sich die laut eigenen Angaben «treue Leserin aus der Ostschweiz» an ein durch und durch bernisches Fachgremium wendet: Langsamkeit ist nebst Allwissenheit eine der zwei Kernkompetenzen der Askforce. So wird auch diese Frage knapp eine Woche nach Redaktionsschluss beantwortet. Also längstens noch rechtzeitig.

Die Frage selbst hätte es wegen ihrer Bedingungen («geht Sie nichts an», «müssen wir nicht reden») verdient, sofort und ohne jede Verzögerung von unserer Liste der pendenten Fragen gestrichen zu werden. Werte Frau M., hier für Sie zum gaaanz langsamen Nachsprechen: Alles geht die Askforce etwas an, wir müssen über alles sprechen!

Doch die Frage wird nicht umgehend und augenblicklich gestrichen, weil die Askforce nie im Affekt entscheidet. Wir nehmen uns Zeit. Nach dem Motto: Langsamkeit schafft Raum für Erkenntnis.

Zum Beispiel für die Erkenntnis, dass Frau M. offenbar sehr schnell einen Werbeslogan braucht – beziehungsweise: raushauen will. Sie will ihr Produkt so schnell wie möglich an die Frau und den Mann bringen. Sie will mit allerhöchsten Qualitätspreisen Kohle machen. Ohne Verzug! Jetzt! Subito!

Schaut man sich die Frage ein Weilchen an, legt sie einmal kurz weg, nimmt sie später wieder hervor und studiert sie am Sonntagnachmittag bei einem Schwarztee nochmals in aller Ruhe, wird man gewahr: Frau M. vertraut ihrem Produkt, dessen Alleinstellung angeblich die Langsamkeit sein soll, offensichtlich nicht. Andernfalls wüsste sie: Die Kraft der Langsamkeit liegt in der Zeit.

Entspräche Frau M.s Qualitätsprodukt allerhöchsten Ansprüchen, dann könnte Frau M. einfach warten, bis es sich langsam, aber sicher von selbst verkauft. Es pressiert nicht.

Bis dahin hätte sie Zeit, ihr Ostschweizer Tempo auf bernisches Taktgefühl herunterzufahren. Und sich Gedanken zu machen darüber, warum wir uns einerseits vorstellen können, wie sich die Alpen über Jahrmillionen gefaltet haben, wie der Aaregletscher das untere Gürbetal gestaltet hat oder wie Tropfsteine über Jahrhunderte in tiefen Grotten gewachsen sind. Und warum wir uns andererseits beim besten Willen nicht vorstellen können, wie schnell Lichtgeschwindigkeit wirklich ist. Der Grund ist ganz einfach: Langsamkeit liegt uns näher.

Askforce Nr. 1157
16. Dezember 2024

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