«Irgendwie», sinniert Josef B. aus Bern, «frage ich mich, ob Public Viewing Zukunft hat.» Nachdenklich machten ihn nicht die Müllberge und Urindämpfe nach dem abendlichen Meutekino, sondern etwas viel Philosophischeres: «Fussball wird doch an sich zwischen zwei Mannschaften gespielt und von zwei Fangruppen bejubelt. In Bern war aber zeitenweise alles uni orange.»
An sich müsste die Askforce an dieser Stelle Herrn B. belehren, dass der Begriff Public Viewing nur ein Scheinanglizismus ist, unter dem die meisten Angelsachsen die «öffentliche Aufbahrung eines Verstorbenen» verstehen (klar, wir erinnern uns: «In the public viewing, hundreds of thousands lined up to pay personally last respects as John F. Kennedy’s body lay in state.»). Es liesse sich natürlich erörtern, ob das einst proletarische Massvergnügen Fussball nicht tatsächlich «öffentlich aufgebahrt» wird und die Uefa dem Plebs bloss noch die thanatopraktisch aufbereitete und bildmässig zensierte Mumie des früher als Fussball gefeierten Spiels serviert. Aber Josef B. dribbelt ja auf eine andere Frage zu: Ist es der Zukunft des Fussballs dienlich, wenn sich nur noch geschlossene und als Holländer verkleidete Fangruppen vor den Leinwänden zum Gruppenglotzen einfinden?
Ja, es ist die Zukunft. In einem ersten Schritt hat ja die Uefa heuer die Produktion und Zensur der TV-Bilder übernommen. In einem zweiten Schritt sind nur noch Public-Viewing-Zonen und keine Stadien mehr vorgesehen, denn deren Bau ist beschwerlich und zu teuer. Stattdessen werden die Spiele in virtuellen Räumen generiert (früher: «durchgeführt») und Fangruppen-spezifisch aufbereitet (früher: «übertragen»). In einem dritten Schritt treten dann die bejubelten Teams gegen fiktive, zum Verlieren bestimmte Gegenmannschaften an, zum Beispiel gegen Burkanistan. Die Folgen: Keine frustrierten Fans mehr, kein Hooliganismus, mehr Siegerlaune in der ganzen Stadt, mehr Schweizer Siege, bessere Umsätze beim Uefa-Merchandising.
Askforce Nr. 371
23. Juni 2008