Warum fragen die Leute oft gar nix, sondern behaupten mit ihrer Frage bloss etwas, das sie bestätigt haben wollen? Eine solche Frage stellt uns Hans Zätt, wohnhaft seiend in einem stattlichen Weiler im unteren Emmental. Er stolpere immer wieder über das Wort «mutmasslich».
Mutmasslich sei doch ein Synonym für vermutlich. Ergo sei Mutmassen dann nicht angebracht, wenn eine Tatsache klar feststellbar sei. Und jetzt kommt es: Wenn ein Täter einem Opfer einen veritablen Tritt in den Hintern verpasse, dann sei immer nur vom mutmasslichen Täter die Rede. Was das Mutmassen in solchen Fällen eigentlich zu bedeuten habe? So fragt er. Aber im Prinzip sagt er: Mich regen solche samtigen Unschuldsvermutungen auf, denn wenn einer einem in den Allerwertesten tritt, dann ist alles klar: Er ist ein Vagant und kein mutmasslicher Vagant.
Damit liegt der Frager, der eigentlich ein Behaupter ist, natürlich falsch. Fuss tritt Hintern: Natürlich ist das sehr oft ein klarer Fall. Wer aber mit Physik vertraut ist und ein universales Bild der Welt hat, der weiss respektive wüsste: Es kommt bei Bewegungen immer auf die Bezugsebene an. Es ist rasch behauptet, der Fuss habe sich dem Hintern in stark beschleunigter Weise angenähert. Das ist aber bloss das weitverbreitete arschzentrierte Weltbild. Was aber, wenn – aus Distanz betrachtet – der Fuss, dieser bekanntlich empfindsame Körperteil, der Ruhepol ist und der Hintern sich ihm entgegenwirft? Akteur ist dann der Gesässbesitzer oder gegebenenfalls der für einen Sekundenbruchteil in Richtung Fuss zuckende Planet, auf dem der Gesässbesitzer steht.
Mutmassen ist also auch bei sonnenklaren Sachverhalten angezeigt. Trotzdem wächst der Anteil der immer alles Wissenden rasant. Zu Kolumnen wie dieser schreiben sie dann empört in die Kommentarspalte: «So ein Gefasel! Es gibt nun einmal Dinge, die sind so sonnenklar, da würde sich nur ein Weichei zuerst aufs zurückhaltende Vermuten beschränken.»
Das Klare ist klar? Überprüfen Sie dies doch im Askforce-Prüfverfahren: Nehmen wir an, Sie hören Radio. Nehmen wir weiter an, es erfolgt dort wiederholt die gleiche Verkehrsdurchsage: «Achtung, Gefahr durch Gegenstände auf der Fahrbahn!» Ihre Reaktion? Vermutlich werden Sie denken: «Warum melden diese Deppen denn das dem Radio, anstatt die Gegenstände einfach von der Fahrbahn zu räumen?»
Wüssten Sie von der Kraft des Zweifelns und von der Kunst des Mutmassens, würden Sie aber sagen: «Hmm?!» Und Sie würden nach Erkenntnis lechzend zum Fenster schreiten oder einen Blick durch die Windschutzscheibe werfen und sich fragen: Gibt es denn auf der Fahrbahn tatsächlich Gegenstände, die eine Gefahr bedeuten? Und siehe da, sie werden sie sehen, hunderttausendfach, diese Gegenstände, die Gefahr bedeuten: Man nennt sie im Volksmund Autos.
Keine Gegenstände im gängigen Sinn sind Wörter. Sie sind luftiges, immaterielles Gut. Warum Hans Zätt trotzdem sagt, er stolpere immer wieder über das Wort mutmassen, wirft ernste Fragen auf. Wir raten ihm: Gehen Sie über die Bücher. Aber sorgfältig.
Askforce Nr. 760,
30. Mai 2016