Ins Gras gebissen
«Wenn der einsame Cowboy ins Gras beisst, wie schmeckt ihm dieses?» So ungefähr haben wir die Frage in Erinnerung, die von Leserinnen im «Café Askforce» aufgeworfen wurde und seither als «die existenzielle Geschmacksfrage» über den Studiertischen der Askforce-Expert:innen schwebte. Heute arbeiten wir sie ab.
Als Auftakt spielen wir eine kleine Filmsequenz ein: Wir sehen vor uns eine weite Prärie mit mannshohen Kakteen und – auf einem müden Gaul reitend – ein mies gelaunter John Wayne, der mit seiner Winchester gerade ein paar böse Buben ins Gras beissen lässt – und er tut dies ohne zwingenden Grund, sondern bloss, weil ein Stimmungsabfall im Drehbuch gerade wieder nach etwas Blut verlangt.
Aber bei der «existenziellen Geschmacksfrage» geht es ja nicht um die Kinematographie, sondern um den Goût von Gras im Augenblick des eigenen Ablebens.
Zuerst müssen wir aber vor den Risiken des Ins-Gras-Beissens warnen: Es gibt
sehr scharfkantige Gräser! An ihnen kann man sich leicht Lippen und Zunge übel verletzen, was langwierige Komplikationen nach sich ziehen kann. Zudem gibt es Gräser, die zu Zahnverfärbungen führen. Der Biss in sie ist nicht ratsam, ausser man sehnt sich nach der Zahnfarbe von Biberratten.
Nach dem Warnhinweis weiter zur Frage an sich! Für Atheist:innen ist die Antwort am simpelsten: Gras schmeckt für Ins-Gras-Beissende – zumindest eben gestützt auf die atheistische Erfahrung – nach rein gar nichts, weil der Biss ins Gras mit dem ersatzlosen Wegfall sämtlicher Sinneswahrnehmungen zusammenfällt. Atheist:innen erhalten also als Geschenk für ihren Glauben ein problemloses und geschmackloses Ende.
Ganz anders ist die Geschmackswahrnehmung für all jene, die im Augenblick des Todes bereits die eigene Reinkarnation organisieren müssen: Für sie ist der Biss ins Gras eher die botanische Form des Übersetzens an ein anderes Ufer. Das Gras dürfte dabei – geschmacklich – ein ziemlich betörendes Bouquet entfalten. Weil die Reinkarnation besonders auf dem indischen Subkontinent Sitte ist, verweisen wir hier noch auf die – religiös begründet – unantastbaren indischen Kühe: Sie sind Wiederkäuerinnen. «Ins Gras beissen» erinnert uns also sanft an die interessante Nähe zwischen Wiedergeburt und Wiederkäuen.
«Wenn der einsame Cowboy ins Gras beisst, wie schmeckt ihm dieses?» Die eher genussorientierte Antwort offeriert uns schliesslich die aktuelle Cannabis-Liberalisierung: Beisst er in sein Chnübi, dann schmeckt ihm dieses – je nach Cannabissorte – würzig, zitrussig, blumig, pfeffrig, mentholig, fruchtig, also vermutlich besser als all die Marlboros, die er im Laufe seines bisherigen Cowboy-Lebens inhalieren musste. Völlig intakt sind übrigens auch die Überlebenschancen der in der kleinen Filmsequenz niedergemähten Cowboys – falls in John Waynes Winchester tatsächlich nur Platzpatronen stecken.
Askforce Nr. 1068,
17. April 2023