Hat Gott sich da etwa verschöpft?

Eben sei er auf eine neue theologische Erkenntnis gestossen, «die mich nicht mehr loslässt», schreibt uns Herr M. N. aus Bern. Es geht um die römisch-katholische Bischofssynode und um die Anerkennung von Homosexuellen. Die Churer Theologin Eva-Maria Faber sagt dazu in einem Interview: «Sieht die Kirche ein, dass Menschen homosexuell veranlagt sind, muss sie sich fragen: Hat Gott sich da verschöpft?»

Selber wolle er nicht über die Konsequenzen dieser Frage nachdenken, schreibt Herr N., «da läuft mir ein Schauer der Überforderung den Rücken hinunter». Deshalb ersuche er die Askforce, «eine erste Skizze dieses neu anbrechenden theologischen Zeitalters zu entwerfen».

Das machen wir sehr gerne, Herr N. Bei uns ist ja nicht selten die «Rede von Gott», was ja so viel bedeutet wie «Theologie». Zudem ist das Thema uns nicht fremd. Vor einem Jahr haben wir geschrieben: «Als der Schöpfer die Tiere schuf und ihnen die sexuelle Selektion mit auf den Weg gab, hätte er nach ein paar wenigen Tagen sehen müssen, dass es nicht gut war.»

Lässt man den Gedanken zu, dass Gott sich dann und wann verschöpft hat, wird für uns Menschen einiges einfacher. Bei der Betrachtung gewisser Teilaspekte der Schöpfung müssen wir uns nicht länger fragen, was Gott sich dabei gedacht hat. Die Antwort lautet: Er hat sich verschöpft. Dass er sich mehrfach und zum Teil kräftig verschöpft hat, steht für uns ausser Zweifel.

Beispiel Nr. 1: Hühner. Gott gab ihnen zwar Flügel, aber sie können damit nicht fliegen. Irgendwie fies. Noch fieser ist Beispiel Nr. 2: Während die Weibchen der Kaiserpinguine sich im Meer (eventuell sogar homosexuell?) vergnügen (und vollfressen), müssen die Männchen ein halbes Jahr lang im (vorläufig noch) ewigen Eis der Antarktis herumstehen und ein Ei auf den Füssen balancieren. Bisher musste man sich fragen: Führt der Schöpfer mit seinen Geschöpfen womöglich breit angelegte Versuche durch?

Ein neuer theologischer Ansatz, der auf der Verschöpfungs-Hypothese beruht, könnte Gott diesbezüglich entlasten – er würde menschlicher und damit ergründlicher. Um beim Huhn zu bleiben: Wir müssen uns nicht mehr fragen, was Gott dieser Kreatur antun wollte. Wir dürfen neu annehmen, dass ihm ein Anfängerfehler unterlaufen ist.

Ein solcher Wechsel des Blickwinkels bliebe nicht ohne Folgen: Der Mensch verstünde sich zwar weiterhin als ein Abbild Gottes, neu wäre Gott aber ebenso ein Abbild des Menschen (Stichwort: inverse Funktion). Dies wiederum ermöglichte den einen oder anderen Umkehrschluss: Wenn ein Mensch eine Schutzfolie aufs Smartphone klebt und dabei die Lufteinschlüsse nicht alle wegkriegt, flucht er. Warum also sollte Gott nicht auch ein bisschen geflucht haben, als er das Huhn erschaffen hatte und es aus seinen gütigen Händen wegfliegen lassen wollte?

Askforce Nr. 720,
10. August 2015