Herr S. Z. aus B. ist kein Mann der unnötigen Worte. In seinem Schreiben an die Askforce kommt er ohne Umschweife auf den Punkt: «Besitzen Nacktschnecken eigentlich ein Schamgefühl?» Wir möchten uns für diese kurze und präzise Art des Fragenstellens bedanken, Herr. Z. Sie geben uns die Möglichkeit, bei der Beantwortung ein wenig ausholen zu dürfen. Dies, weil wir unseren sowieso eher beschränkten Platz nicht zur Hälfte mit der Wiedergabe einer langen Frage füllen müssen. Gerade Fragen, bei denen es um die Psyche von Mollusken geht, verlangen vertiefende Informationen.

«Als Nacktschnecken werden Schnecken bezeichnet, die ihr ursprüngliches Gehäuse weitgehend reduziert haben. Sie können sich nicht mehr zum Schutz in ihr Gehäuse zurückziehen», heisst es auf Wikipedia. Weiter steht dort, dass dieser Evolutionsschritt – er fand vor zig Millionen Jahren statt – in verschiedenen Schneckengruppen erfolgte. Bei einigen Schneckenarten mag diese Rückbildung durchaus Sinn gemacht haben. So zum Beispiel bei der im Meer lebenden Nudibranchia. Ein Gehäuse würde sie beim Baden nur stören. Das wäre so, wie wenn Sie, Herr Z., mit Anzug und Krawatte Ihre Längen schwimmen würden.

Anderen Nacktschnecken macht diese Entwicklung hingegen zu schaffen: So versteckt sich die braune Rucksackschnecke tagsüber in Erdröhren, und der schwarze Schnegel lebt abgeschieden im Wald. Sie tun dies sicher auch, um sich vor Feinden zu schützen. Der Hauptgrund ist aber ein anderer: Die Tiere wollen nicht, dass wir sie so nackt und hilflos zu Gesicht bekommen. Womit Ihre Frage beantwortet wäre: Ja, Nacktschnecken haben ein Schamgefühl, ein äusserst ausgeprägtes sogar. Und wagen sie sich dann doch einmal aus ihrem Versteck, werden sie nach Strich und Faden gedemütigt: Sie werden von Igeln gefressen, von Velofahrerinnen überrollt oder von Gärtnern entzweit, was dem Selbstwertgefühl nicht eben zuträglich ist.

Am schlimmsten ist für Nacktschnecken aber, dass sie immer von ihren behausten Verwandten ausgelacht werden. Dabei könnten sich gerade Weinbergschnecken eine Scheibe vom Schamgefühl ihrer nackten Brüder und Schwestern abschneiden. Oder gefällt es Ihnen etwa, wenn Weinbergschnecken im Frühling absolut hemmungslos zu dritt, viert oder sogar fünft kopulieren? Da stellt sich die Frage, warum sie sich für dieses unanständige Treiben nicht in ihr Haus zurückziehen. Aber das, Herr Z., können Sie uns ja ein andermal fragen.

Askforce Nr. 568,
23. Juli 2012