Gibt es für unsere Berge einen Abschreiber?

In der Schweiz rechnen wir uns die Höhe der Berge gerne als persönliches Verdienst an. Auch wer selbst nichts zur Faltung der Erdkruste beiträgt, sondern umgekehrt durch Alpi- und «Tschalpinismus» aktiv die Einebnung der Höhenunterschiede vorantreibt, fühlt Stolz in der Brust.

Vielleicht ist es müssig, darüber zu spekulieren, ob Ueli R., ansässig in der Bundesstadt, zu diesen Personen zu zählen ist. Die Askforce glaubt aber, dass auch Herr R. von der Majestät der Berge beseelt ist, denn in seiner Frage schwingt Besorgnis mit: «Wenn der Meeresspiegel steigt, gibt es dann für unsere in Meter über Meer gemessenen Berge einen Abschreiber?» Herr R. vermutet sogar, dass die Organisation Schweiz Tourismus uns etwas verheimlicht.

Erdkundliche Erkundigungen bringen Unheimliches an den Tag: Die Länder Europas beziehen sich bei ihren Höhenangaben auf unterschiedliche Meere und somit auf unterschiedliche Meereshöhen. Wer die Nordsee für die sogenannte Normalhöhennull wählt (und nicht das Mittelmeer), kann seinen Hügelkuppen und Bergen einen Zuschlag hinzufügen. Weiter ist die Übertragung des Meerespegels ins Landesinnere kein Kinderspiel. Auf alten Karten der Schweiz sind darum die Berge mehrere Meter höher als heute. Der Eiger ist sogar um acht Meter geschrumpft, aber auch weil die Schneedecke abgenommen hat.

Dass Meereshöhe nicht gleich Meereshöhe ist, mussten auch Ingenieure erfahren, die 2003 bei Laufenburg eine Brücke über den Rhein errichteten. Auf der Schweizer Seite war man sich zwar der Differenz von 27 Zentimetern bewusst, doch nach einem Vorzeichenmissgeschick resultierte ein Unterschied zur deutschen Seite von 54 Zentimetern. Und noch immer nicht gelöst sind die «Stolperfallen» an den Landes­grenzen: Weil etwa Österreich bei der Höhenmessung auf die Adria Bezug nimmt, ist ein gemeinsamer Grat auf der Schweizer Seite einige Zentimeter höher. Ist das der Grund für unerklärte Bergunfälle?

Falls die Schweiz ihren Ausgangspunkt künftig von der Nordsee ableitet, könnte sie einen klimabedingten Anstieg des Meeresspiegels bis zu 27 Zentimetern kompen­sieren. So liessen sich die von Herrn R. zu Recht gefürchteten Abschreiber oder Wertminderungen vorerst vermeiden. Allerdings sollte man so ehrlich sein und zumindest eine Gewinnwarnung absetzen. Schweiz Tourismus aber hat naturgemäss kein Interesse, über diese Dinge zu sprechen: Denn wer hirnt, wandert nicht, klettert nicht und fährt nicht Ski.

 

Askforce Nr. 1155
2. Dezember 2024