Galoppierende Drahtesel
Ändu B. aus Langnau ist Biker. Und er fühlt sich «hoffnungslos überfordert», wie er der Askforce schreibt. Nicht etwa vom Aufstieg auf die 952 Meter der Gartegg im Emmental. Sondern von einem ebenda aufgestellten Schild, das ihn und andere Ein-, Zwei-, Drei- und Vierradfahrer mahnt: «Bitte Schritt fahren». Wie das bitte gehen soll, will Herr B. wissen, «denn entweder fahre oder schreite ich», schreibt er, und fragt «als letzte Rettung» die Askforce um Rat.
Lieber Herr B., Sie stehen ganz offensichtlich auf dem Schlauch. Mit grösstem Vergnügen greift die Askforce deshalb zum intellektuellen Flickzeug, um Sie gedanklich wieder in die Gänge zu kriegen. Und ja, dieses Sprachbild ist so schief und krumm wie ein Velovorderrad, wenn sich bei 35 Stundenkilometern eine Hofkatze um die Speichen wickelt. Aber wir greifen vor.
Um den Ausdruck «Schritt fahren» zu verstehen, schreiten wir gedanklich vom Esel aus Draht zum Pferd aus Fleisch und Blut. Diese Vierbeiner sind bekanntlich Dreigänger, sie schalten vom langsamen Schritt über den mittleren Trab zum schnellen Galopp. Mit dem Aufkommen des Pferdekutschenverkehrs ergab sich die Notwendigkeit, ebendiesen aus Sicherheitsgründen zu regulieren. So wurde zum Beispiel in § 34 des Berliner Droschkenfuhrreglements aus dem Jahr 1851 festgeschrieben, dass der Kutscher bei Leerfahrten «stets im Schritt fahren» müsse – also in der langsamsten Gangart des Pferdes.
Den Rest können Sie sich denken. Aus «Schritt fahren» wurde Schritttempo, und das liegt bei rund fünf Stundenkilometern. Was die Schildaufsteller auf der Gartegg also sagen: Bitte langsam fahren. Betrachtet man die Gartegg-Situation auf Google Streetview, entdeckt man übrigens nicht nur das besagte Schild, sondern auch das mutmassliche Motiv für dessen Aufstellung. Auf dem Schnappschuss sind – ungelogen – zwei freilaufende Katzen, eine Spaziergängerin mit zwei angeleinten Hunden und ein Pferd mit unklarem Leinenstatus zu sehen. Vermutlich hatten die Gartegg-Bewohner einfach keine Lust mehr, überfahrene Katzen von der Strasse zu kratzen. Oder Biker aus Hundeleinen zu entwirren.
Übrigens, sollte es Ihnen trotz dieses neu erlangten Wissens schwerfallen, auf der Gartegg künftig im Schritttempo zu fahren, empfehlen wir Ihnen, auf das Tandem umzusteigen. Dann kann Ihr Mitfahrer an besagter Stelle absteigen und vor dem Tandem herschreiten. Alternativ empfiehlt sich das Mitführen eines gut dressierten Pferdes, das nicht unversehens in einen Trab verfällt. Oder Sie steigen einfach ab, stossen Ihr Velo und streicheln die beiden Hofkatzen. Die schnurren sicher genauso schön wie Ihr gut geöltes Bike bei der Abfahrt von der Gartegg.
Askforce Nr. 1200,
22. September 2025