Ein Herr A. aus G. fragt uns, wie dunkel denn eine Dunkelziffer sein müsse, um als Dunkelziffer zu gelten. Und: «Ab welcher Dunkelheit gilt eine Ziffer als dunkel? Ist eine Dunkelziffer überhaupt noch lesbar?» Eine simple und doch brisante Frage! Simpel ist sie, weil natürlich jede Ziffer umso lesbarer ist, je dunkler sie ist.
Der Selbsttest: Ist die 5 oder die 6 lesbarer? Ja, es ist die 6. Sie ist die dunklere Ziffer. Lerne: Erst ihre Dunkelheit macht Ziffern so richtig lesbar. Und: Seit der Abschaffung der schwarzen Schiefertafel und dem Siegeszug von A4-hochweiss sind im hiesigen Kulturkreis fast nur noch die dunkeln Ziffern lesbar. Eine Analogie hilft den Zweiflern: Sie kritzeln ja die Liebesbriefe an Ihre Angebetete auch nicht mit weissem Tipp-Ex auf weissen Grund!
Und wo liegt nun die Brisanz? Brisant ist die Frage, weil sie schmerzhaft und eindeutig beweist, wie verbreitet der kollektive Irrtum – der Unterschied zwischen Wissen und Meinen – ist. Praktisch ausschliesslich, wenn von einer Dunkelziffer die Rede ist, handelt es sich nämlich nicht um eine Ziffer, sondern um eine Zahl: «Die Dunkelziffer der Steuerhinterziehenden liegt in der Schweiz bei 560 000.»
Schön und gut! Aber 560 000 ist eindeutig keine Ziffer, sondern eine Zahl – eine Zahl aus sechs Ziffern. Warum schwafeln trotzdem fast alle von Dunkelziffern? Das Wort Dunkelziffer geht auf eine im Jahr 1908 schludrig übersetzte englischsprachige Dissertation zurück, die den Begriff «dark numbers» in den Sprachschatz der Kriminalistik einführen wollte.
Merke: Die Dunkelzahl jener, die niemals – auch nicht nach 100 Jahren – auf noch so offensichtliche Übersetzungsfehler reagieren mögen, ist gigantisch.
Askforce Nr. 459,
22. März 2010