Die Askforce muss zu oft bei Adam und Eva anfangen. So auch heute. Herr Hans M. aus Bolligen lässt uns nämlich wissen, die Unschuldsvermutung werde heute sehr inflationär bemüht. Sie sei faktisch «das elfte Gebot» geworden. Er leitet davon einige interessante Fragen ab. Die heikelste: «Wie verarbeite ich das Gebot der Unschuldsvermutung mir selbst gegenüber?» Auch Herr Hans leidet also wie so viele am autosuggestiven Unschuldsvermutungssyndrom, einem pandemischen Leiden, das Menschen befähigt, ihre Schuld völlig auszublenden, solange der Strafbefehl noch nicht rechtskräftig ist. Das Leiden ist aber therapierbar.
Deshalb nochmals ganz von vorn, aber im Rasertempo: Adam, Eva, Paradies. Perfekt. Schlange, bös, schlängelt herbei. Verbotener Apfel wird gepflückt! Es gibt mächtig Haue vom Chef: Tschüss Paradies! Aber ganz wichtig: Vor dem Urteil schenkte der Chef beiden rechtliches Gehör: Habt ihrs wirklich getan (ausführlicher bei Moses)? Adam: Ja, diese Eva hat aber halt . . . Und Eva: Ja, aber dieses Kriechtier hat halt . . . Und erst jetzt das Urteil: Adieu Paradies!
Ein paar Tausend Scheiterhaufenverbrennungen später leitete der Klerus vom Fall Adam und Eva ab, dass es theologisch begründet wohl eine Unschuldsvermutung bräuchte. Herr Hans! Bei der Unschuldsvermutung gehts also einzig darum, anderen nicht vorschnell Schuld zu unterschieben. Eigene Idiotie, eigene Vergehen gestützt auf die Unschuldsvermutung völlig schuldfrei zu ertragen, war nie Zweck der Übung. Wie die Pandemie wirkt, zeigte sich kürzlich ganz eindrücklich. Energiewende? Klar! Aber just zum Start der Sensibilisierungskampagne «Erdbeeren im Winter – ein Klimamärchen» hat der grosse Grossverteiler Erdbeeren aus Südafrika eingeflogen und zu einem Spottpreis auf den Markt geworfen. Die auf sich selbst bezogene Anwendung des elften Gebots tönte nicht wie eine Beichte: «Unsere Kundinnen und Kunden sind mündig und können selber entscheiden, welche Produkte sie kaufen wollen.» Erdbeeren seien für sie eben «ein Zeichen des Frühlings».
Sehen sie, Herr Hans, man liest es und staunt. Die Unschuldsvermutung hat ihre Unschuld verloren. Therapievorschlag: Kolumne auf Augenhöhe an die Kühlschranktüre kleben.
Askforce Nr. 553
26. März 2012