Warum spricht die Polizei nach einer Verhaftung immer von der Unschuldsvermutung statt von einer Schuldvermutung? Das fragt uns Willy M. aus G.: «Die Polizei wird ja hoffentlich niemanden verhaften, den sie als unschuldig vermutet.» Aber eigentlich will Willy nur ein wenig mit der Askforce plaudern, denn er rät uns jovial, «nicht die Unschuld zu verlieren».

Sie glauben an die Unschuld? Nun, unsere Antwort lautet: Es gibt nirgends auch nur den geringsten Hinweis für die Existenz von Unschuld. Unser Vorgehen auf dem Weg zu dieser Erkenntnis war übrigens bestechend einfach. Zunächst stellen wir fest: Was man hat, kann man verlieren; was man verliert, kann man wiederfinden. Wir haben deshalb beim stadtbernischen Fundbüro am Theatergässchen 2 recherchiert und erfahren: Dort wurde in den letzten 50 Jahren nie eine Unschuld abgegeben, obwohl sich das Fundbüro ausdrücklich auch als Ort für verlorene Dinge versteht, die für die Betroffenen primär «einen hohen persönlichen Wert» haben.

Wegen der angeblichen «Unschuld vom Lande» haben wir den Sachverhalt auch in Hinterfultigen, Oey-Diemtigen und Wileroltigen et cetera überprüft. Überall beschieden uns die Fundsachenverantwortlichen: Fehlanzeige. Weit entscheidender ist, dass weder in städtischen noch in ländlichen Fundbüros je versucht wurde, eine verlorene Unschuld zurückzuerlangen. Es ist schlicht nie eine entsprechende Suchanfrage eingegangen. Wenn man aber die Unschuld verlieren kann, ohne sie je zu vermissen und ohne dass Dritte je über sie stolpern, dann stellt sich doch die Frage, ob es sie überhaupt gibt.

Kommen wir zur Konklusion. Das Einzige, das man beim Verlieren nicht vermisst und das gleichzeitig kein anderer finden kann, ist das Nichts. Ergo: Die Unschuld ist ein Nichts.

Manchmal steckt übrigens bereits in der Unschuld die Schuld, wie unsere kulinarische Annäherung zeigt: Angenommen, Sie bereiten aus einem Unschuldslamm mit Knoblauch, Thymian, etwas grobkörnigem Senf und Bratbutter ein herrliches Gigot zu, und nach dem Verzehr liegt es ihnen total schwer auf: Ist das Lamm da nicht einfach auch mitschuldig?

Askforce Nr. 878,
5. November 2018