Die Kritik der Nachgeborenen
Das ist neu für uns: eine Frage, die so gestellt wird, als wäre die Askforce eine künstliche Intelligenz. Damit klar wird, was wir meinen, zitieren wir die Zuschrift von Georg H. aus Bern fast vollständig: «Angesichts der Wandbildausstellungseröffnung im BHM drängte sich mir die Frage auf: Was kritisieren Menschen in 75 Jahren an unserem heutigen Denken und Handeln? Habe mir beim Formulieren dieser Frage die grösste Mühe gegeben, damit die Askforce nicht ein Ausweichmuster anwenden kann und sich mit der Form und nicht dem Inhalt der Frage auseinandersetzt. M.a.W.: Ich bin echt an einer inhaltlichen Beantwortung interessiert, was in 75 Jahren an unserem jetzigen Leben und Denken skandalös oder unbegreiflich erscheint!»
Klingt diese Frage nicht wie ein Prompt? Wie eine Texteingabe also, mit der man versucht, eine möglichst präzise Antwort aus einer KI herauszukitzeln? Ohne ein klitzekleines bisschen Raum fürs freie Fabulieren? Und arbeiten wir tatsächlich mit Ausweichmustern?
Ja, manchmal können wir nicht anders, als an den Fragen rumzumeckern. Da gibt es ja immer etwas. Aber Ihre Frage nehmen wir ernst, beantworten sie inhaltlich – und liefern fürs Erste zwei Hypothesen, wie sie im Jahr 2099 formuliert werden könnten.
- Unbegreiflich erscheint, wie die Menschen vor 75 Jahren oft Mühe hatten, den vollständigen Kontext zu benennen (sie schrieben beispielsweise von einer Wandbildausstellung, ohne zu erklären, um was für ein Wandbild es sich handelt (jenes aus einem Berner Quartierschulhaus, das eine Kontroverse um Rassismus auslöste)). Ausserdem benutzten sie unsäglich lange Wörter wie Wandbildausstellungseröffnung, Füllwörter wie «echt» und Abkürzungen wie M.a.W. (mit anderen Worten) oder BHM (Bernisches Historisches Museum).
2) Echt echt skandalös ist jedoch, wie die Menschen vor 75 Jahren mit Tieren umgingen. Nach wie vor gab es die fürchterliche Massentierhaltung und das noch fürchterlichere industrielle Schlachten von Millionen von Hühnern, Schweinen und Rindern. Auch Tierversuche waren noch erlaubt. Gesunde Paviane wurden dazu benutzt, künstliche Bandscheiben zu testen. Und man war daran, Tiere genetisch so zu verändern, dass man ihnen ihre Organe entnehmen und Menschen einsetzen konnte. Wie sehr jene Zeit durchsetzt war mit fragwürdigen Denkmustern, zeigt sich an der damaligen Sprache. Heute wäre es unvorstellbar, die Grüne Meeresschildkröte als Suppenschildkröte zu bezeichnen. Oder Wörter zu benutzen, die gegenüber Tieren despektierlich klingen – wie beispielsweise «rummeckern».
Askforce Nr. 1132
24. Juni 2024