Die ideale Zugspassagierin
Die ideale Zugspassagierin
Frau M. P. aus Zollikofen teilt uns ungefragt mit, dass sie keineswegs dazu neige, kreischend durch Eisenbahn-Gänge zu rennen. Ebenfalls lehne sie es ab, im Zug per Handy mit einer Freundin zu schwatzen – im Gegenteil: Frau P. schweigt in SBB-Abteilen gerne still vor sich hin. Dies auch, weil sie ihr Mundwerk für existenziellere Tätigkeiten braucht: Sie verzehre «gelegentlich mit Genuss ein Fischbrötchen aus der Filiale einer international bekannten Fischhandels-Kette», schreibt Frau P. Hingegen huste sie nicht.
Frau P. möchte nun von der Askforce gerne wissen, ob sie den Anforderungen an eine «regelkonforme SBB-Benutzerin» entspricht. «Darf ich Sie bitten, das Profil einer solchen Person genauer zu definieren?», fragt sie.
Sie dürfen, Frau P. Und Sie dürfen jetzt auch ganz tief durchatmen. Frau P., wir können Ihnen grünes Licht fürs Zugfahren geben – Sie sind ein braves Mädchen, das diszipliniert dasitzt und grundsätzlich nicht auffällt. Bravo. Genau so stellen sich die SBB ihre Passagierinnen vor.
Und nun zum Wesentlichen: Liebe Frau P., warum wollen Sie denn unbedingt eine vorbildliche SBB-Kundin sein? Warum sind Sie so unsicher? Warum trauen Sie sich nicht mal zu husten? Wer hat Ihnen eingebläut, Sie müssten in jedem Moment Ihres Lebens züchtig die Augen niederschlagen, die Füsse schön nebeneinanderstellen und die Händchen auf der Bettdecke lassen?
Er oder sie hat es nicht gut mit Ihnen gemeint, Frau P. Sie sind doch eine tolle Frau – wenn Sie bloss nicht so penetrant anpassungssüchtig wären. Dabei verfügen Sie, wie Ihr Brief zeigt, über subversives Potenzial. In scheinbarer Unschuld belästigen Sie ihre Mitmenschen mit Fischgestank. Das ist ein Anfang, liebe Frau P., darauf lässt sich aufbauen. Das nächste Mal nehmen Sie einen Kebab mit auf die Reise nach Zürich. Bei der Rückfahrt gibts dann Schabziger.
Wir freuen uns auf Ihren Erfahrungsbericht!
Askforce Nr. 393,
24. November 2008