«Mit meinen 66 Jahren bin ich nicht sehr rüstig und schwinge mich doch ab und zu aufs Velo, und zwar ein unmotorisiertes», vertraut uns Herr B. an. Da komme es vor, dass er schweissgebadet in ein Quartier einbiege und unverhofft auf ein Schild «freiwillig 30» treffe. «Nun muss ich pedalen wie verrückt, dass ich diese 30 schaffe, und nicht immer gelingt es mir, diese Hürde zu knacken. Mache ich mich da strafbar, oder handle ich einfach nachlässig?»
Wir verzichten hier darauf, Herrn B. eine Leseschwäche nachzusagen – er weiss ja ganz genau, dass er seinen Drahtesel keineswegs auf Tempo 30 hochpeitschen muss, hingegen seinen allfälligen motorisierten Untersatz auf genau diese Limite hinunterdrosseln sollte.
Trotzdem ist die etwas schlaumeierische Frage hoch spannend und brandaktuell. Denn das Verwechseln und Missverstehen von Modalverben hat sich in den vergangenen Monaten zur Volkskrankheit ausgewachsen.
Angefangen hat es damit, dass im letzten Frühsommer ein Herr mit sparsamer Frisur und französischem Akzent die Schweizer Öffentlichkeit mit folgendem Satz beglückt hat: «Wir können Corona!» Das war natürlich zuerst einmal bloss grammatikalischer Unsinn, und der Elternteil in uns allen reagierte sofort mit «was denn? unter den Stuhl kleben?» – analog zu unserer jeweiligen Antwort auf die Kinderfrage «Darf ich einen Kaugummi?».
Der Satz war leider auch inhaltlich unsinnig, wie wir heute wissen. Seither dürfen, sollen, ja müssen wir uns mit Fragen herumschlagen, die wir uns früher nie auch nur hätten vorstellen können und wollen. Die erste wurde positiv beantwortet: Ja, wir dürfen Ski fahren. Dummerweise ist aber in Zeiten wie diesen längst nicht mehr klar, was «positiv» und «negativ» wirklich bedeuten. Die nächste Frage war jene nach der «Kompetenz der Kantone» – ein erschreckend weites Feld der Modalitäten. Und jetzt steht die Impfung an, die man sich, je nach Blickwinkel, setzen lassen darf oder eher muss, die aber sicher zur allgemeinen Gesundheit beitragen soll.
Und damit kehren wir zurück zu Ihnen, Herr B., danke für Ihre Frage. Danke dafür, dass Sie mit Ihrem Öko-Velo die Umwelt und, indem Sie die Verkehrsregeln beachten, das Wohlbefinden Ihrer Mitmenschen schonen. Sie dürfen gerne langsam fahren, Herr B., Hauptsache, Sie bleiben gesund!
Askforce Nr. 990,
3. Februar 2021