Bravo! Frau Corinne N. aus U. gewinnt den Zivilcourage-Preis der Askforce. Vor der Laudatio gehen wir kurz auf ihre Zuschrift ein, die sich auf den «Bund» vom 27. April 2015 bezieht. Dort darf Immobilieninvestor Remo Stoffel über die von Stararchitekt Peter Zumthor geschaffene Therme Vals unwidersprochen sagen: «Die Therme war eine ausgelutschte, todgeweihte Braut, die niemand berühren wollte, ausser mit einem Stecklein.» Corinne N. fragt nun sich und uns: Wie muss man sich eine solche Braut vorstellen? Und wer braucht solch absonderliche Bilder?

Die Frage ist etwas unausgereift, die Antwort entsprechend banal: Ausgelutschte Bräute sehen so aus, wie man sich sie gemeinhin vorstellt – irgendwie etwas eklig, wasserleichenartig, weil die anhaltende Auslutscherei die Haut sehr bleich, sehr aufgedunsen und sehr runzlig werden lässt, etwa so, wie wir das aus der Badewanne kennen, wenn wir viel zu lange in ihr verweilen.

Aber: Wo treffen wir – ausser in Stoffels Vorstellungswelt – auf ausgelutschte Bräute? Dazu müssen wir ausholen. Archaische Bergvölker haben früher in ihrer Abgeschiedenheit sehr gewöhnungsbedürftige Umgangsformen entwickelt. Allgemein bekannt ist etwa, dass in den Karpaten vereinzelt Bräute ausgesaugt worden sind. Dieser sogenannte Vampirismus ist aber seit dem Vorrücken des Veganismus stark rückläufig.

Eine derivierte Abart des Vampirismus fasste in abgeschiedenen Bündner Bergtälern Fuss: Der Vampirismus hatte dort angesichts der Karies-Epidemie vom frühen 15. Jahrhundert keine Chance, weshalb sich in okkulten Kreisen die Sitte des Auslutschens statt Aussaugens von Bräuten heranbildete. Wirklich durchgesetzt hat sich der Brauch aber nie. Denkbar ist immerhin, dass die Sitte die wenig später erfolgte Einführung des Frauenstimmrechts in der Schweiz begünstigt hat.

Den Zivilcourage-Preis erhält Corinne N. nun, weil zwar Unzählige Stoffels Aussage gelesen haben, aber nur sie den Mut zeigte, die Unsitte öffentlich zu tadeln. Das ist wichtig. Toleranz in Ehren: Das Auslutschen von Bräuten ist einer aufgeklärten Gesellschaft nicht würdig. Gesundheitsexperten klären ja immer wieder über die fatalen Folgen des Brauchs auf: Je nach Grösse der Braut drohen dem Auslutschenden irreparable Schädigungen des Kiefergelenkbereichs und Deformationen des Rachenraumes. Das führt fast auswegslos zu chronischer Grossmäuligkeit.

Für die Valser kommt diese Einsicht leider zu spät.

Askforce Nr. 709
18. Mai 2015