Das geschätzte Fräulein Zoccoli fragt für ihr Gottenkind, dessen Bruder als Erstklässler nur noch mit Billetts der 1. Klasse unterwegs sein will (was man dem kleinen Snob austreiben könnte, indem man ihn freundlich darauf hinweist, dass dann ab der dritten Klasse fertig wäre mit Eisenbahnfahren), dieses Gottenkind von Fräulein Zoccoli möchte also von der Askforce wissen, was der Unterschied ist zwischen Wolken und Nebel.

Liebes Gottenkind, es ist der gleiche Unterschied wie zwischen der Bedienungsanleitung für einen Eierkocher und einem Gedicht von Rainer Maria Rilke oder der Antwort in einem simplen TV-Quiz und einer filigran formulierten Erörterung der Askforce: Es ist eine Frage der Flughöhe. Wobei dieser Vergleich dem Wesen des Nebels nicht gerecht wird.

Denn, liebes Gottenkind von Fräulein Zoccoli, beim Nebel handelt es sich genau genommen um den schweren Bruder einer luftigen Wolke, der sich über einem kleinen, kühlen Seelein oder in einem mystischen Hochmoor ein wenig zur Ruhe hingelegt hat und jederzeit wieder zur Wolke in himmlische Gefilde aufsteigen kann – wenn die Sonne ihn wachküsst. Wenn! Denn allein schafft er es nicht: Der Nebel ist auf fremde Hilfe angewiesen. Es ist diese Abhängigkeit, die ihn gelegentlich etwas schwermütig stimmt und jene leichte Eifersucht aufkommen lässt, die Rilke so meisterlich in Reime gefasst hat: «Jene Wolke will ich neiden / die dort oben schweben darf! / Wie sie auf besonnte Heiden / ihre schwarzen Schatten warf.»

Es sind diese trübseligen Momente, in denen der Nebel alle seine Kräfte zusammenreisst und verzweifelt versucht, aus eigenem Antrieb hinauf zu seiner luftigen Schwester, der Wolke, zu gelangen. Es sind, leider, aussichtslose Versuche, die in aller Regel in einer hartnäckigen Hochnebellage enden. Der Nebel, eingeklemmt zwischen Jura und Voralpen, taucht dann das ganze tiefer liegende Mittelland in jene schattenlose, halbdunkle Stimmung, die ihn bei uns so in Verruf gebracht hat. Und die erst endet, wenn eine fahrige Warmfront ihn, den Hochnebel, auflöst und als Regen abstürzen und im Erdreich oder – schlimmer noch – der Kanalisation versickern lässt.

Während seine Schwester, die Wolke, leicht und frei über die Landschaft schwebt – wie ein Erstklässler in der 1. Klasse.

Askforce Nr. 1003
17. Januar 2022