Den moralischen Kompass verloren

Simon W. aus Bern zeigt ein erhöhtes Interesse an Navigationstechniken. Ihm
fällt auf, dass oft gesagt wird, jener oder jene habe «den moralischen Kompass verloren». Er schiebt nach: «Meist ist dieser Kompass dann dauerhaft verloren.» Ob diese Kompasse denn so schwierig wieder zu finden seien?

Nun, moralische Kompasse sind eine Subkategorie der inneren Kompasse. Und zu solchen Innereien kann die Askforce nur eines raten: Hände weg! Auch all die therapeutischen Angebote zur Neuaus­richtung seines inneren Kompasses sollte man dringendst meiden. Denn:

Erstens. Die Geräte sind unbrauchbar. Wie wollen Sie einen inneren Kompass ablesen? Niemand kann so sehr in sich gehen, bis er oder sie einen unverstellten Blick auf Bussole und Kompassnadel hat.

Zweitens. Niemand braucht einen inneren Kompass. Menschwerdung beginnt damit, sich selbst nicht als Werkzeugschrank zu verstehen. Wir sind also bereits kom­plett, auch ohne – zugefügte – innere Kompasse, innere Navis, innere Fest­plat­ten, innere Batterien, innere Büchsenöffner, innere Peri­skope, innere Stabmixer oder innere Schockfroster. Selbst die innere Fritteuse ist unnötig: Das bisschen Hitzewallung kriegen Sie in Ihren Wechseljahren auch auf natürliche Weise hin.

Drittens. Kompasse zeigen alle zum gleichen Pol. Die Vorstellung, dass nun alle, alle, alle punkto Moral auf den absolut gleichen Punkt hin ferngelenkt werden, ist ziemlich beklemmend; ausser für jene, die diesen moralischen Pol diktieren. Dem moralischen Kompass folgen folglich primär jene gerne, denen es zu anstrengend ist, halbwegs glaubwürdig die eigenen Widersprüche auf die Reihe zu kriegen und dem eigenen Gewissen zu vertrauen.

Wer sich trotzdem nicht vom moralischen Kompass trennen mag, muss wissen:

Auf unserem Heimplaneten Erde kommt es alle paar Zehntausend Jahre zu einer Magnet­feld­umkehr. Ab dem nächsten solchen Polsprung werden alle Kompasse zum Süd- statt zum Nordpol weisen. Nord wird Süd. Schwarz wird weiss. Oben wird unten.

Noch viel häufiger kommt es zu moralischen Polsprüngen – auch in der Schweiz, wie führende Moralhüter-Institutionen erfahren mussten: So schlugen priesterliche Moralkompassnadel beim Anblick frommer Schäfchen erfreulich oft in Richtung schützen, aber unerträglich oft in Richtung schänden. Jene Kleriker, deren Moral­kompasse nur zwischen Messwein-Völlerei und Quellwasser-Askese polsprüngeln, befällt darob ein eiskaltes Schauern.

Askforce Nr. 1115
26. Februar 2024