Das harte Leben nackter Zahlen
Bei der heutigen Ausgabe müssen wir Sie bitten, minderjährige Mitleser:innen von den Endgeräten zu verbannen. Denn es wird schlüpfrig. Es geht nicht etwa um entblösste Haut. Nein, es wird noch obszöner. Die heutige Frage handelt von nackten Zahlen. Selbstverständlich wurde die zweideutige Frage dazu von einem Herrn aus der Finanzbastion Zürich vorgebracht. Hanspeter S. will wissen, ob diese frivolen Ziffern denn keine Scham kennten (und er fragte sich, ob das der Grund sei, «dass nackte Zahlen oft nicht alles sagen» und somit oft «täuschen»).
Natürlich können wir diese Frage in gewohnter Schlüssigkeit beantworten. Doch aufgrund ihres Inhalts sehen wir uns dazu veranlasst, auf die allgemeingültige Askforce-Maxime hinzuweisen. Wir verpflichten uns stets der absoluten Wahrheit, und unser Denken steht in der edelmütigen Tradition des Humanismus. Soll heissen: Unsere moralische Vollkommenheit übertrumpft sogar unseren legendären Bildungsstand.
Deshalb sehen wir es als unsere Pflicht, die Würde nackter Zahlen zu verteidigen. Sie haben sich diese Funktion nicht ausgesucht, sondern sind bloss Produkte verschiedener Gegebenheiten, auf die sie keinerlei Einfluss hatten. Eine summarische Verurteilung dieser vulnerablen Chiffren verkommt zu einer ethischen Verlustrechnung. Nackte Zahlen mit einer schnellen Nummer gleichzusetzen, ist von Grund auf falsch.
Niemand sucht sich aus, eine nackte Zahl zu sein. Auf dem Papier mag die Mathematik für Gleichheit und Gerechtigkeit stehen. Doch die Realität sieht anders aus. Hier ist die Mathematik ein verrottetes System, in dem Ziffern herzlos herumgeschoben, getrennt, fusioniert, ausgetauscht und gestrichen werden. Wer Glück hat, dem wird die Würde eines Lebens in Anonymität gewährt. Nackte Zahlen werden hingegen jeglicher Privatsphäre entrissen. Sie werden wie Waren vorgeführt und den geifernden Blicken der Gesellschaft ausgesetzt.
Hinter diesem Zahlen-Trafficking stecken mächtige Netzwerke, die keine Widerrede dulden. Beispiele: Steuerbehörde, Finanzkontrolle, Wirtschaftsprüfer. Doch was treibt sie zu diesen ausbeuterischen Tun an? Letztlich geht es um Macht. Denn nur durch nackte Zahlen können sie ihre Autorität aufrechterhalten. Dabei nehmen sie gerne in Kauf, unzählige Leben unbescholtener Ziffern zu zerstören.
Und doch gibt es selbstlose Organisationen, die sich diesem diskriminierenden System widersetzen. Es sind Vorbilder für die Rechte der Zahlen wie beispielsweise schweigsame italienische Grossfamilien oder gewiefte Kassenwartinnen von Langlaufzentren. Sie setzen alles daran, ihren Zahlen ein diskretes Leben zu ermöglichen.
Askforce Nr. 1117
11. März 2024