Das Aromat der Sprache
Frl. A. Z. ist neuerdings etwas verloren, wenn sie im Restaurant etwas zu essen bestellen will. «Mit Schrecken», so schreibt sie der Askforce, habe sie festgestellt, dass von den Speisekarten die Adjektive verschwunden seien. «Wie kann das sein? Die waren doch enorm hilfreich für die Menüwahl!» Nun wisse man beim Bestellen ja gar nicht mehr, ob der gebratene Speck «knusprig», das Steak «saftig» und die Sauce «sämig» sein werde.
Das karge Spesenbudget erlaubt es der Askforce leider nicht, Frl. Z.s Beobachtung der verschwundenen Adjektive in einem breit angelegten Feldversuch zu verifizieren. Dafür kann die Askforce gleich zwei Erklärungen für das Verschwinden der Adjektive von Speisekarten auftischen. Fachkräfte sind bei beiden die Hauptzutat.
Vielleicht, liebe Fragerin, hat auch Ihre Primarschullehrkraft Ihnen eingebläut, dass Adjektive einen Text lebendig machen. Was für ein Irrtum. Die Askforce hält es in dieser Sache mit Mark Twain: «Wenn du einem Adjektiv begegnest, dann schlage es tot!» Adjektive sind das Aromat der Sprache. Sie gaukeln Würze vor, wo es an Tiefe und Charakter fehlt. Gut möglich, dass die Schweizer Gastronom:innen diese Lektion in Schreibworkshops verinnerlicht haben. Als Fachkräfte für starke Texte wissen sie jetzt, dass «Steak vom Emmentaler Hochlandrind» mehr Appetit macht als «saftiges Steak mit knuspriger Kruste vom glücklichen Hochlandrind aus dem schönen Emmental».
Oder aber die Adjektive sind im Gegenteil ein Opfer des Fachkräftemangels in der Gastronomie geworden. Mancher Verköstigungsbetrieb kann nur mit Ach und Krach sicherstellen, dass Steak, Frites und Salat überhaupt noch auf den Tisch kommen. Eine Garantie abgeben, dass diese saftig, knusprig und knackig-frisch sind? Das wäre angesichts des fehlenden oder ungeschulten Personals in der Küche doch etwas viel verlangt. In weiser Voraussicht haben sie deshalb alle Adjektive von der Speisekarte gestrichen. Ganz nach dem Motto: Wer keine Erwartungen schürt, kann sie auch nicht enttäuschen.
Unser Rat für Sie, Frl. Z.: Trauern Sie den fehlenden Adjektiven nicht nach. Nomen reichen in der Regel völlig aus, um eine Menüwahl zu treffen. Sollte das Servierte nicht Ihren (unausgesprochenen) Erwartungen entsprechen, helfen schlimmsten-falls der Griff zum Aromat und ein paar gut gewürzte Adjektive an die Adresse der Küche.
Askforce Nr. 1168,
3. März 2025