Botz Blitz!
«Warum war der ‹Hinkende Bot› trotz seinem Holzbein viel schneller da als der chattende Bot?» Mit dieser Frage beweist Marie A. aus Bern, wie sorgfältig sie den Medienwandel beobachtet: Die Berner Version des «Hinkenden Bot» erscheint seit 1718 ohne Unterbruch; die Chatbot-Pioniere wie Eliza (1966), Jabberwacky (1988) und Alice (1995) hinkten zweieinhalb Jahrhunderte hintennach. Zugleich sind diese Plauder-Roboter alle auch schon wieder weg. Aber der «Hinkende Bot» ist noch da.
Ja, wir hören die Zurufe unserer juvenilen U-60-Leser:innen und sehen die verstörten Blicke unseres Auditoriums in Übersee: What the hell ist ein «Hinkende Bot»? Es folgt darum hier der wissensvermehrende Abschnitt: Der «Hinkende Bot» ist ein jährlich erscheinender Volkskalender – eine Brattig – die in Text und Bild denkwürdige Ereignisse des Vorjahres Revue passieren lässt, einen nutzwertigen Kalenderteil beinhaltet und das lesefähige Publikum auf unterhaltsame Weise belehrt. Und der Cover-Boy des «Hinkenden Bot» ist seit 306 Jahren ein Meldeläufer mit Hipster-Bart und Holzbein, der – Action! – versucht, mit seiner Lanze eine Schnecke aufzuspiessen, was er aber bis heute nicht geschafft hat.
Dieses Schneckendetail ist zugleich die Erfindung des immerwährenden Cliffhängers: Schafft der Bot es nächstes Jahr, den kleinen Schleimer zu erledigen? – Wir von der Askforce erahnten übrigens früh das Potenzial des «Hinkenden Bot». 1815 gaben wir dem Stämpfli-Verlag Bern deshalb den Tipp, auf diesen Long Seller zu setzen, was dieser bis heute tut (ISBN 978-3-7272-6160-2). Und was er etwas später mit der Herausgabe des tollen, ersten Askforce-Buches (ISBN978-3-7272-6089-6 ) verdankte.
Bei so viel Einschub bleibt kaum mehr Raum für die Antwort auf die Ausgangsfrage. Immerhin sei noch gesagt: Der «Hinkende Bot» mag zwar langsam unterwegs sein. Aber er hatte phänomenale Startbedingungen: Er war nie jung, durchlief keine Kinderkrankheiten; er war immer schon alt; er kam – es gab damals noch Wunder und Zeichen! – bereits mit Holzbein zur Welt. Einem schönen Holzbein übrigens, das vermutlich vom berühmten Berner Ebenisten, dem Kunstschreiner Mathäus Funk (1697–1783), gedrechselt worden war. Das Zeitlosigkeitszeugnis des Bot lesen wir beispielsweise in der Ausgabe von 1878:
Der Bot ist schon e alte Ma / Me gsäch‘ ihm’s wäger no nit a /
Doch wett‘ i mit Der, was De witt: / Der eltist Ma, er bsinnnt sich nit /
A d’s Jahr, won’er zum erste Mal / Ist gwandert über Berg und Thal /
Mit Botespieß und hölz’gem Bei / Landuf, landab, dür Stock und Stei. /
S’ist hundertfüfzig Jahr just her: / E styfe Rung, e länge Kehr!
Fazit: Der «Hinkende Bot» ist Ursprung und Verkörperung der bernischsten aller bernischen Redewendungen, «langsam chly pressiere». Die neusten Chatbots stehen dagegen für die Redewendung der Zukunft, «schnäu mau chly brämse».
Askforce Nr. 1129
3. Juni 2024