Konkordanz am Bordsteinrand

«Es ist wieder einmal Montag», schreibt Dr. Urs W. aus B., «und was sehe ich? Überall euroblaue Berge an den Strassenrändern!» Dr. W. will von der Askforce wissen, wer auf die Idee verfallen sei, «die jetzt so teuren Kehrichtsäcke mit einer nicht unbedingt sandsteinkompatiblen blauen Farbnote auszustatten». So harmlos die Frage daherkommt, so staatspolitisch muss sie beantwortet werden. Doch es sei eingestanden, dass sich die Askforce zunächst in einer ergebnislosen Diskussion über die Termine der Kehrichtabfuhr erging.

Dr. W., klagten einige Askforce-Mitglieder, grenze mit seiner Formulierung jene aus, deren Abfall nicht montags, sondern dienstags und freitags abgeholt werde. Die Farbe der Säcke dürfe da keine Rolle spielen. Nein, dem Fragesteller gehe es nicht um Wochentage, konterte die weltoffene Askforce-Fraktion, sondern darum, in der EU-Beitrittsfrage Farbe zu bekennen. Mit der Wortfolge «nicht unbedingt sandsteinkompatible euroblaue Berge an den Strassenrändern» markiere Dr. W. ironische Distanz zu Brüssel.

Erst ein Blick in die jüngere Stadtgeschichte führte die Askforce dann auf die richtige Fährte. Seit fünfzehn Jahren regiert Rot-Grün-Mitte in Bern. Lange Zeit setzte sich die Linke in Kolorierungsfragen rücksichtslos durch. Wer durch die Stadt geht, erkennt das sofort: rote Busse und Trams. Dabei war das alte, SVP-artige Schlammgrün der öffentlichen Verkehrsmittel in Bern viel sandsteinkompatibler. Oder der umgestaltete Casino-Platz: Schimmert er nicht rötlich?

Nun kann in der direkten Demokratie die Mehrheit die Minderheit auf die Dauer nicht farblich demütigen. Der Unmut wuchs, und Rot-Grün musste erkennen: Es gilt, den politischen Gegner in Tönungsentscheide einzubinden. Die bürgerlichen Erfolge sind heute überall sichtbar: freisinnblaue Lichterkerzen am Weihnachtsbaum auf dem Bundesplatz. Bauarbeiter in CVP-orangen Überkleidern auf städtischen Baustellen. Freisinnblaue Kehrichtsäcke an den Strassenrändern. Bleibt festzuhaltenn: Diese Säcke an den Strassenrändern, Dr. W., sind Ausdruck gelebter Konkordanz.