Bei Hempels unter dem Sofa

«Was ist bei Hempels unter dem Sofa?» Diese Frage stellt uns Barbara M., und die Endung ihrer Mailadresse – .de – verrät eine gewisse Beziehung zu unserem nördlichen Nachbarland. Ein wichtiges Indiz! Barbara M.s Frage ist im Kern nämlich an eine Redewendung angelehnt, die nördlich des Rheins verbreitet ist.

Da sieht es aus «wie bei Hempels unter dem Sofa». Oder als Variante: «Da sieht es aus wie bei Hempels unterm Bett». So wird auf eine arge Unordnung hinge­wie­sen; oder auf Abgründe und Unappetitlichkeiten hinter sehr properen Fassa­den. Der Barde Reinhard Mey etwa besingt in seiner Ballade «Bei Hempels unterm Bett» (1988) die streng geharkten Wege, die korrekt ausgerichteten Garten­zwerge, den frisch gewienerten Mittelklassewagen – während unter dem Bett die «weisse Weste mit schmierigem Fleck» liegt. Und der Block, auf dem Hempel anonyme Drohbriefe schreibt. Und der Flachmann. Und – ebenfalls flach und Mann – Frau Hempels Liebhaber. So gesehen sind Hempels Bett – und Hempels Sofa – genauso wie Putins langer Salontisch oder Marats Badewanne oder der prunkvolle Eilige Stuhl einfach Einrichtungsgegenstände aus dem Möbelhaus für Abgründiges.

Sicher weiss Barbara M. dies alles bereits. Fragte sie uns also gar nicht nach dem übertragenen Sinn, sondern nach dem Konkreten – dem Konkreten unter konkre­ten Sofas und konkreten Betten von konkreten Familien mit Namen Hempel?

Da in der Schweiz gemäss Bundesamt für Statistik nur gut 100 Personen mit Nach­namen Hempel zur ständigen Wohnbevölkerung zählen (Stand 2022), war es für die Askforce ein Leichtes, sich ein Bild zu verschaffen. Der klare Befund: Bei den aller­meisten Hempels mit Wohnsitz in der Schweiz sieht es überhaupt nicht aus «wie bei Hempels unterm Bett». Auszumachen waren im Halbdunkel ihrer Möbel­unter­welt einzig diverse Stofftiere, vereinzelte Hundebisquits, diverse Einzelsocken, etliche Papiertaschentücher, unverweint, ein erst bis Seite 34 gelesenes Exemplar von James Joyce’ «Ulysses» – und Staub, Staub, Staub, viel Staub. Aber keine Lieb­haber. Keine weissen Westen mit schmierigem Fleck. Keine Beretta mit Schall­dämpfer. Kurz: Ach wie schön, / ach wie nett! / sieht’s aus / bei Hempels unterm Bett!

Spannend bleibt der Staub. Wo kommt er her? Was will er uns sagen? Dazu lieferte der Astrophysiker Ben Moore erst kürzlich im «Magazin» die Antwort: Die frühen Sterne unserer Galaxie entstanden, fusionierten Wasserstoff zu neuen Elementen, verbrannten ihren Kernfusionsbrennstoff, explodier­ten – wodurch der erste kosmische Staub entstand. Moore: «Dieser bildete neue Sterne, Planeten und schliesslich Leben. Und den Staub unter unseren Betten.»

So einfach ist das also. Und es erklärt, warum es unter unseren Betten und Sofas zuweilen nach galaktischen Explosionen oder gar nach Urknall aussieht. Eigentlich recht poetisch: der Blick unters Bett als Blick zurück zu den Anfängen allen Seins.

Askforce Nr. 1140
19. August 2024