Autos auf Strassen kleben

Kurz und knapp fragt Georg H. aus dem Steinhölzli: «Warum kleben Klima­akti­vist:in­nen sich selber und nicht Autos auf die Strasse?» Seine Frage hüteten wir lange. Denn wir wussten, dass eine grössere Partei – zum Beispiel die FDP – das Thema «Klimakleber» im Wahlkampf aufgreifen würde; zum Beispiel mit einem gelungenen Plakat. Jetzt ist die Aktualität gegeben; jetzt beantworten wir die Frage.

Nun, werter Georg, gute Klebeverbindungen zwischen Gummi und Asphalt sind rar. Denn: Für eine dauerhafte Adhäsion sind die beiden Klebeflächen sauber, fett- und staubfrei zu halten. Unter Labor­bedingungen ist dies leicht, im unsauberen Strassenmilieu aber kaum zu erreichen. In seinem natürlichen Habitat ist das Klebeverhalten des Autos – auf den ersten Blick – also stark unbefriedigend. Wer für seinen Wagen eine dauerhafte Verbindung mit dem Untergrund wünscht, setzt besser auf Schraubverbindungen. Gut angedü­belt könnte die Sache klappen. Der Öko-Tipp: Die dazu nötige Schlagbohrmaschine müssen Sie nicht gleich kaufen, Sie können diese im Fachgeschäft auch mieten.

Wir dachten anfänglich, die Frage sei hiermit beantwortet. Askforce-interne Nörgler:innen predigten aber, wir klebten zu sehr an überholten Sichtweisen:
Die These, Autos liessen sich nur schlecht auf Stras­sen kleben, sei widerlegt.
Alle wüssten zum Beispiel, wie man zwei Holzteile mit Nut und Feder und wenig Leim dauerhaft verbinde. Analog dazu müsse man also erst vier exakt reifenbreite und 30 Zentimeter tiefe Nuten in den Asphalt fräsen, diese mit Pattex® Ultra Gel füllen und den Wagen dann zügig und präzise in diese Vertiefungen einparken.
Das führe zu dauerhaften Verbindungen. Zugegebenermassen sei diese Lösung
aber unelegant, weil aufwendig, teuer und nicht spontan umsetzbar.

Stimmt. Vor allem aber vernebelt auch diese Technik den Blick auf die tiefere Wahrheit. Sie lautet: Das Auto selbst ist bereits ein Klebestoff. Die mobile Mensch­heit klebt an ihm wie die Fliegen am beleimten, süsslich riechenden, spiral­förmigen Fliegenfänger im Stall von Bauer Burren. Insekten kennen diese Fliegenfänger ja seit nunmehr Tausenden von Fliegengenerationen, verweigern aber jegliche evolutionäre Anpassung: Sie fliegen hin und kleben an. Ähnliches schafft das Auto. Es kommt zu einer kausalen Klebefolge: Automobile – selbst Offroader – kleben auf der Strasse. Und in ihnen klebt weit mehr als die halbe Nation am Steuer. In der Schweiz besitzen 83 Prozent der Erwachsenen einen Führerschein. Sie alle kennen die innige Verbindung, die sich zwischen Mensch und dem uterusähnlichen schützenden Innenraumklima des Autos ergibt. Deshalb nennt man sie voller behutsamer Empathie «die Klimakleber»

Klimakleber verdienen Respekt. Etwa dann, wenn sie herzhaft eingreifen, wenn ein armer Tropf – verwirrt, unverrückbar und schutzlos  – auf der Strasse klebt und sie ihm ganz dezidiert eine Mit- oder Abfahrgelegenheit anbieten.

Askforce Nr. 1093
2. Oktober 2023