Applaus, Applaus?

«Warum klatschen Passagiere, wenn eine Landung glückt?» Dies fragt uns Herr Willy S. Und er fährt fort: «Was ist die angemessene Reaktion, wenn sie nicht gelingt?»

So, wie Sie diese Fragen stellen, Herr S., sind Sie vermutlich ein nüchtern denkender Kerl – ein Ingenieur oder ein Physiklehrer – und wollen uns bloss ein bisschen kitzeln. Richtig?

Für die meisten Leute hingegen hat das Fliegen immer noch etwas Rätselhaftes an sich. Das beginnt schon mit der Luft. Ihnen ist nicht bewusst, dass allein die Menge, die in einer Wohnung lagert, so schwer ist wie ein Klavier. 

Umgekehrt: Wer hat nicht schon am eigenen Leib erfahren, welche enormen Kräfte ein Sturm zu entfesseln vermag? Doch kaum jemand überträgt diese Erfahrung auf das Fliegen. Denn eigentlich macht ein Flugzeug nichts anderes, als für sich selbst einen Sturm zu erzeugen – einen überaus starken Sturm. Ein Passagierjet benötigt zum Abheben mehr als doppelte Orkanstärke an den Flügeln.

Das Problem dabei: Dieser Superorkan tobt ganz klammheimlich. Die Passagiere im Flugzeug merken nichts davon. Genauso wenig wie die Angehörigen, die am Flughafen stehen und winken – und allerhöchstens den Hauch des Lüftchens spüren, das ihre Hand umspielt. 

Und doch: Aber selbst wenn man ein rätselhaftes Phänomen gedanklich durchdringt, wie Sie, Herr S., heisst das nicht, dass es seinen Zauber verlieren muss. Darum erachten wir es immer noch als vertretbar, bei einer geglückten Landung diskret zu klatschen – man braucht dabei ja nicht gleich aus dem Sitz aufzustehen. 

Und selbstverständlich hindert Sie niemand daran, Herr S., bei einer harten oder anderweitig vermurksten Landung Buhrufe auszustossen. Es fragt sich nur, wie gut das bei jenen Passagieren ankommt, die einfach heilfroh sind, wieder unten angekommen zu sein.

Was wir aber beliebt machen möchten: den Landeapplaus ein bisschen umzuwidmen. Wäre es nicht mehr als recht, all jene mitzumeinen, die mit ihrer Ingenieursleistung dazu beigetragen haben, dass man als Mensch überhaupt auf eine derart spektakuläre Weise in den Himmel aufsteigen und von dort wieder zurückkehren kann?

Und wenn wir schon dabei sind: Wäre es nicht genauso gerechtfertigt, zu klatschen, wenn ein Eisenbahnzug nach rasender Fahrt durchs Innerste eines Bergmassivs bei Raron ins Rhonetal hinausschiesst? 

Oder noch allgemeiner: Warum ist es nicht üblich, am Morgen im Bett zu klatschen? Ist Aufwachen nach dem Schlafen nicht noch tausendmal rätselhafter als Landen nach dem Fliegen?

Askforce Nr. 1202
6. Oktober 2025