Seit drei Monaten wirbt das Projekt Tram Region Bern auf seiner Homepage für eine sehr waghalsige Lösung: Das geplante und umstrittene Tram soll in Kleinwabern «senkrecht an einem Perron anhalten» (www.tramregionbern.ch). Bernhard K. aus B. ist verunsichert und will wissen, warum diese Idee in seinem Leibblatt nicht zu einem «Aufschrei des Entsetzens» führt und warum auch die weitere Öffentlichkeit schweigt.

Die Ask-Force hat Verständnis für die Frage. Seit der Erfindung des Senkbleis und des rechten Winkels wird – übrigens global! – die Schnur des Senkbleis durch die Erdanziehungskraft wundersam gestrafft, bis sie orthogonal – also senkrecht zur Erdoberfläche – verharrt. Mit dieser beeindruckenden Kraft vor Augen ist es sicher angezeigt, den Komfort in senkrecht anhaltenden Trams genauer zu betrachten: Braucht es Sicherheitsgurten? Sind spezielle Liegesitze angezeigt, die an der Senkrechthaltestelle automatisch zu Sitzsitzen würden? Muss man zwingend vorne aussteigen, weil bei den Hintertüren definitiv kein niveaufreier Ausstieg garantiert werden kann? Stören senkrechte Trams das Landschaftsbild (immerhin gibt es in Wabern auch eine starke Opposition gegen Hochhäuser)?

Solche Routinefragen können natürlich andernorts – etwa in weniger bedächtigen Metropolen wie Zürich – Entsetzen und Bestürzung, Wut und Trauer auslösen und die Medien zwingen, diesen Gefühlsregungen mit medialer Bestürzungsbewirtschaftung gerecht zu werden. Die Folge: Verstopfte Strassen, weil Pendler, die den Unterschied zwischen orthogonal und horizontal nicht kennen, das Tram meiden und wieder mit der Karre im Stau fluchen. Bern ist anders. Der Berner ist orthogonal anhaltenden Verkehrsmitteln gegenüber grundsätzlich sehr tolerant. Immerhin verbindet seit 1897 das Senkeltram Matte und Münsterplattform. Es ist übrigens – typisch für das Understatement der Bundeswelthauptstadt – das weltweit erste senkrecht anhaltende Tram überhaupt.

Zurück zum Geplanten! Mit «senkrechtem Anhalten» wollen die Tram-Region-Bern-Schöpfer wohl Kulturlandverlust und Kosten vermindern. Das müsste besonders den Freisinnigen gefallen, die in und um Bern auffallend kritisch zum Tram-Projekt stehen. Aber auch sie schweigen unüberhörbar. Das hingegen muss man verstehen. Der Freisinnige hat angesichts der Erfolgskurve seiner Partei grösste Mühe mit Linien, die früher oder später rechtwinklig dem Nullpunkt zustreben.

Askforce Nr. 561
4. Juni 2012